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Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
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Rolle, der er nicht gewachsen ist.
    Er hat sich mit Siegfrieds Heldentum angesteckt.
    Und Held Siegfried? Im Kampf unüberwindbar, im Frauenmanagement – ein Trottel?
    Um einer Frau willen lässt er sich schurigeln, demütigt sich vor Gunther. Held ist nie jener, der Regeln sprengt; er soll ihnen zu Glanz verhelfen. Der Held ist ein Regelvollzugssystem, laut, silbern und glänzend. Das Regelvollzugssystem wird behängt mit Erzählungen und Lobgesang, Orden und Kreuzen. Zwerge (heute: technisches Gerät, damals auch Schwert und Drachenhaut) begleiten es. Ebenso Fehler. Denn das »System« ist zufällig auch ein lebendiges und soziales Wesen, konfrontiert mit der Aufgabe, ein Leben als Sohn, Erbe, Vater, Herrscher, Gatte etc. zu führen. Siegfried hilft Gunther, die Regeln Brünhildes zu brechen, hält sich dabei aber an die mit Gunther aufgestellten Regeln. Der Fehler ist ein Fehler, aber erst halb. Auswirkungen zeitigt er, als Siegfried in der Nichtheldenrolle agiert: Er überreicht seiner Frau, die vielleicht nachfragte, wohin er denn in der zweiten Ehenacht verschwand, Gürtel und Ring der anderen.
    Wie der Tatenheld Siegfried auf die Idee kommt, Zeichen zu erzeugen, ist eine für das Nibelungenlied zentrale Frage. Das Gespräch der Gatten, das die Übergabe der Liebestrophäen begleitet haben wird, offenbart keinen Grund. Unentschieden bleibt, ob Siegfried sich vor Kriemhild damit brüstete, Brünhilde entjungfert zu haben, oder ob Kriemhild das später aus eigenem Antrieb behauptet, um die Schwägerin in höchstem Maß zu demütigen.
    Da für Männer und Frauen, allemal im Bereich der Sexualität, unterschiedliche Gesetze gelten, folgt der Übergabe weder Eifersuchts- noch Ehedrama. Siegfried und Kriemhild herrschen zehn Jahre friedlich in Xanthen, Gunther und Brünhilde am Rhein. Jedes Paar bekommt einen Sohn. Auf Betreiben Brünhildes lädt man die Xanthener nach Worms ein. Gunthers Frau ist noch immer argwöhnisch: Warum durfte der Lehnsmann Siegfried die Königstochter Kriemhild zur Frau nehmen?
    Nicht lange, und die Königinnen geraten aneinander. Nach dem intimen Schlafzimmer diesmal ein öffentlicher Showdown vor der Prunkkulisse des Doms. Welche Königin darf die Kirche als Erste betreten? Wir werden Zeugen einer Wahrheitssuche: Die Frauen tragen nach außen, was die Männer camouflieren. Beim Auszug aus der Kirche nach dem Gottesdienst eskaliert das Wortgefecht. Kriemhild hat sich Brünhildes Ring an den Finger gesteckt und spricht Klartext: Brünhilde sei die ›kebse‹ des ›eigenmannes‹ Siegfried – die Geliebte eines Lehnsmannes. Sie stehe daher unter Kriemhild.
    Die Männer versuchten, den Konflikt um die Vorrangstellung unter dem Konzept »vriunt« zu verbergen bzw. mit diesem Konzept aufzufangen. Anfangs schien die Lage zwischen ihnen ausgeglichen: Einerseits war zwar Gunther Siegfried kräftemäßig unterlegen, andererseits aber Siegfried von Gunthers Verfügungsrecht über Kriemhild abhängig. Nun, lange nach der Hochzeit, stimmt das nicht mehr; die Könige indes machen keine Anstalten, sich darüber auseinanderzusetzen. Brünhilde aber, die Gunthers Unterlegenheit sehr wohl spürt, will wissen, wer ihr die Kraft nahm und wozu sie selbst dadurch geworden ist.
    Das Nibelungenlied ist ein systemisches Epos. Es handelt von den unvorhersehbaren, zeitverzögerten Folgen einzelner Taten in einem gesellschaftlichen Raum. Dort wirken sie rekursiv, dort stapeln sie sich und greifen ineinander, ohne dass noch jemand steuernd einzuwirken vermöchte.
    Das Ende des ersten Teils ist rasch erzählt. Gunther versucht, den Streit zu beschwichtigen, er hat allen Grund dazu. Hagen hingegen entlockt Kriemhild das Geheimnis, wo Siegfried verwundbar ist, und ersticht den Xanthener Helden feige von hinten auf einer königlichen Jagd, deren eigentliches und einziges Beutetier von Anfang an Siegfried war. Gunther, eingeweiht, zieht im Hintergrund die Fäden.
    Das zweite Modell: Der Held als Datenmanager …
    Als Hagen Siegfried zum ersten Mal sieht, errät er nach Ausstattung und ›gebaren‹ die Identität des Fremden. Denn Hagen kennt sich aus, hat Ohren überall. Seine Macht resultiert aus Vernetzung: Er weiß guten Rat zu geben, weil er Informationen sammelt und in Beziehungen denkt. Den Vorschlag, Gunther solle Siegfried zu seinem Brauthelfer machen, entwickelt er, als er hört, dass Siegfried Brünhilde und ihren Hof bereits kennt. Hagen setzt Information ideal ein und zielt darauf, weitere Information zu

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