Heimliche Helden
Diktiert von Spionage, Betrug, Habgier und willkürlichem Töten. Zum Ende schwimmt alles in Blut. Kriemhild lässt Gunther enthaupten und schlägt Hagen eigenhändig den Kopf ab. Ein anderer, echter Held (er stellt die Ordnung wieder her), köpft daraufhin die betrogene Königin. Übrig bleiben König Etzel und ein paar Ritter. Ein Tableau der Traurigkeit, des Vollzugs. Eine Gruppe von Handschriften endet mit dem Vers: »daz ist der Nibelunge nôt.« 4
Was treibt Hagen an?
Ausgerechnet für diese entscheidende Frage scheint sich das Nibelungenlied nicht zu interessieren. Doch es wäre unhistorisch, ausführliche Motivationsangaben in einem mittelalterlichen Epos zu erwarten: Gründe werden mit Strukturbegriffen wie Lehnsgefolgschaft oder mit Gefühlsetiketten (›minne‹, ›haz‹) abgedeckt. Sie zeigen sich differenzierter in der Handlung. So erzählt eine Szene, die scheinbar nur nebenher geschieht, von Hagens Struktur. Gemeinsam mit dem Spielmann Volker sitzt er auf einer Bank im Hof der Hunnen. Volker hält seinen Spielbogen, Hagen ein Schwert auf den Knien. Beide beschließen, vor Königin Kriemhild, die sich ihnen nähert, nicht aufzustehen, obwohl ihr diese Ehrbezeugung gebührte.
Der übermüete Hageneleit’ über sîniu bein
ein vil liehtez wâfenûz des knopfe schein
ein vil liehter jaspesgrüener danne ein gras.
wol erkandez Kriemhiltdaz ez Sîfrides was.
Dô si daz swert erkande,dô gie ir trûrens nôt.
sîn gehílze daz was guldîn,diu scheide ein porte rôt.
ez mante si ir leide:weinen si began.
Ich waene ez hete dar umbeder küene Hagene getân. 5
›Übermüete‹: stolz sein, hochfahrenden Sinnes. Wörtlich: über die Linie des ›muotes‹ hinaus. Mit ›muot‹ bezeichnet das Mittelhochdeutsche etwas wie das Gemüt, die innere Verfasstheit eines Menschen. Hagen ist über-gemütet, er enthält zu viel, hält Balmung, Siegfrieds Schwert, auf den Knien, blendet Kriemhild, bevor sie kommt, mit Rüstung und Schwert. Hagen zeigt sich in diesem Augenblick als Mörder Siegfrieds, er gibt seine Verstellung endgültig auf. Absichtlich blendet er Kriemhild und erinnert sie an ihren Schmerz. Der Erzähler nennt den Mann weiterhin ›küene‹, das Heldentum Hagens wird durch sein Verhalten nicht angekratzt. Hagen provoziert. Das Schwert setzt Sadismus frei, Blutdurst und Brutalität. Un- oder übermenschliche Kräfte kommen nun auch Hagen zu. Wer das Epos heute liest, ist versucht, die Kampfbeschreibungen als Übertreibungen abzutun: Der Erzähler malt aus, schmückt. Diese Interpretation aber wäre eine Verniedlichung des Epos.
Die Beschreibungen sind wörtlich zu nehmen. Der der Kontrolle entkommene Held ist ein Un-Mensch. Mensch, mit dem Makel der Nichtmenschlichkeit. Der Kreis schließt sich. Siegfried kam aus dem Bereich mythischen Kampfes und mythischer Kraft in die höfische Welt. Ein Held mit einer im Nibelungenlied nicht erzählten Vorgeschichte. In diesen mythischen Bereich wächst Hagen zum Teil zurück. Balmung tut ihm diese Ununterscheidbarkeit an. Da sitzt er und blendet Kriemhild als Zeichen seiner eigenen Verblendung. Blinder Zorn und Hass ähneln ihn dem jungen Siegfried an, den anfangs in Worms Kampfesbegier so weit mit sich riss, dass er fast die Werbung um Kriemhild vergaß.
Siegfried wird durch Minne gezähmt. Hagen hingegen ist der Held, der niemals der Liebe folgt. Er denkt in Treue, Kampf und Schwertern, er wütet das blutige Ende herbei.
Dass er von Kriemhild getötet wird, gerät zum komplexen Zeichen. Obwohl alle Burgunder erschlagen sind und auch Gunther, sein König, sich in Kriemhilds Gewalt befindet, gibt Hagen nicht preis, wo Siegfrieds Schatz verborgen liegt. Noch einmal stachelt er Kriemhild an: Er werde erst sprechen, wenn keiner seiner Herren mehr lebe. Kriemhild lässt daraufhin ihren Bruder Gunther töten – Hagen hat mit dafür gesorgt. Als er behauptet, nur Gott wisse, wo Siegfrieds Erbe sich finde, greift die Königin nach Siegfrieds Schwert und schlägt Hagen den Kopf ab.
Trotzig ist Hagen, unbelehrbar. Oder doch im Recht und am Ende schmachvoll von einer Frau getötet, wie manchmal zu lesen ist? Kriemhild muss ihr Leben lassen für diese Tat. Ihre Übertretung der Ordnung (Frau köpft Mann) kann nicht toleriert werden. Der Betrug der Männer an Frauen – Gunther, Siegfried und Hagen gleichen sich darin – wurde hingegen gutgeheißen bzw. zwischen den Männern abgesprochen.
Auf männlicher wie weiblicher Seite wiederholt sich das Grundmuster der
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