Heimliche Helden
meinte, entzieht sich, noch bevor ihre Finger sich um es schließen können. Sie selbst berichtet in Jenseits von Afrika , dass die dunklen Leute keinerlei Freiheitsentzug ertragen. Steckt man sie ins Gefängnis, sterben sie – auch das ist eine Weise, den Stäben zu entkommen. Ob Blixen bemerkte, dass es ihr mit »ihrem« Afrika nicht anders erging? Sie wollte es fassen und blickte doch, wenn sie die Finger nach dem Zugriff wieder öffnete, auf die weiße leere Fläche der eigenen Hand.
Die Leguanepisode steht nicht allein. Eine andere Haut-Szene wiederholt Blixens Schmerz. Am Arm eines Kikuyu-Mädchens hat die Baronin ein Armband entdeckt, das in den wundersamsten Farben schillert. Für Blixen ist es ein Leichtes, so viel Geld für den Schmuck zu bieten, dass die Besitzerin ihn nicht mehr nicht verkaufen kann. Karen legt das schöne Stück auf die milchige Dänenhaut. Der Zauber ist dahin. Erneut hat Afrika sich erfolgreich entzogen.
Diese Passagen handeln nicht nur von Fremdheit und Verschließung. Sie handeln von einer ästhetischen Frage: Wie kann man so schreiben, dass in Wortbildern die Illusion von Lebendigkeit und Gegenwart aufrechterhalten wird? Man setzt Bilder aus dem Kopf im Kopf in Sprache, doch in der Sprache erst entstehen Die-alten-Bilder-im-Kopf wieder. Erleben bzw. Erlebthaben reichen nicht aus; man muss dieses Erleben übersetzen: es verwandeln und sich fremd werden darin, damit es durch Sprache wieder entsteht – und die Haut sich dann, im Schreiben, mit Farben füllt.
Die Erzählerin von Jenseits von Afrika weiß, wie heimtückisch das Sprechenmüssen ist. Was man sagt, altert, die Zeit hat es eingefärbt, zeitlicher Abstand lässt diese Farbe umso deutlicher hervortreten, manchmal so, dass sie das gesamte Bild dominiert. Heute entsteht beim Lesen von Jenseits von Afrika eine Art Doppelblick. Blixen erzählt ein Stück des eigenen Lebens, das sie nicht verstanden hat, und stößt an Grenzen. Afrika weicht immer wieder aus, bleibt versteckt. Man spürt Blixens Ärger darüber, ihre Trauer, ihren Schmerz. Dagegen helfen alle Stilisierungen nicht. Nachts schreibt und rechnet sie, niemand ist mehr bei ihr, nur der Vogel springt aus der Uhr und ruft ein einziges Mal »Kuckuck«. Was noch immer heißt: »Wo bist du?«
Oder: »Schau doch, schau.«
Scheitern? Scheitern!
Weil Blixen nicht klagt, sondern hinzusehen versucht, weil sie sich ihre Neugier bewahrt, wenn auch als Kind ihrer Zeit, weil sie den kolonialen Blick nicht (bewusst) adaptiert und gleichwohl verkörpert, weil bei allem guten Willen, bei aller Faszination, bei allem Einsatz am Ende Einsamkeit bleibt – weil das Buch nicht zukleistert, auch wenn es sich bemüht, unterhaltsam und aufklärerisch zu sein, weil ein Individuum zu schauen weiß und es nicht schafft, die eigene Geschichte auszublenden, wird Blixens fiktiver Bericht etwas Eigenes.
Jenseits von Afrika ist eurozentrisch, weiß und historisch: Es akzeptiert vieles, das wir heute als fraglich oder unerträglich wahrnehmen, als selbstverständlich.
Doch Blixen versucht immerhin, sich auch mit den Augen der anderen zu sehen. Sie übernimmt Verantwortung, reflektiert die eigene Schlangenhaftigkeit. Die anschaulichen, poetisch intensiven Landschafts- und Gesichtsbeschreibungen entstehen aus Nähe und sprachlichem Können. In ihnen drückt sich der Wunsch nach Zugehörigkeit aus und auch jene Zuneigung zu Land und Leuten, von der Blixen spricht. Ihr liegt, man spürt es während der Lektüre deutlich, eine Flucht zugrunde.
Auch deswegen gerät der Kulturrahmen von Buchfassung zu Buchfassung mächtiger. Der verstärkte Rückgriff auf europäisches Zivilisationsinventar mag, wie gern behauptet, ein Reflex auf das spezifische dänische Lesepublikum gewesen sein. Doch erschöpft sich die Bewegung nicht in diesem Grund. Die Zitate aus der Bibel, aus englischen Tragödien und dänischer Literatur, die den Roman durchziehen, sind Symptom seiner eigenen Grenzhaftigkeit, gewusst und ungewusst, Zeichen der Sehnsucht nach alten Werten, nach Zugehörigkeit, Selbstverständlichkeit und Verankerung. Sie bestimmen den Text ebenso wie Kulturartefakte das Blixensche Farmhaus ausstatteten; Bibelzitat und Kuckucksuhr haben hier die gleiche Funktion, sie sind Schätze der Selbstversicherung inmitten eines fremden Lebenszusammenhanges. So kann es gehen, wenn man zwei Heimaten hat, und keine; wenn sich in den Träumen (Kuckucks)Rufe und Sprachen mischen.
Es ist dieser Riss, der Jenseits von Afrika
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