Heimliche Helden
Überraschung kombiniert, Substantive liebt (auf das Verb »rosen« hätte er vielleicht verzichtet). Er springt, wiederholt, verbindet Ungewöhnliches: Von Vers zu Vers öffnet Benn neue, gefühlt-gedachte Räume. Auch die poetische Liebe weitet er über ihren alten Begriff, ihre Klischees, hinaus:
fegt doch die fetten Rosen hin,
den ganzen Pomp, den ganzen Lüster.
Terrassennacht, den Glamour-Ball
aus Crêpe de Chine, bald wird es düster,
dann klappert euch das Leichtmetall 64
In Farben und Formen, als Einladungen zu und Metaphern für Erotik und Sex kommen Rosen neben Flieder, Resede, Iris und Levkoje immer wieder ins Spiel. Benn versteht es, auch abgegriffene Bilder so in Verse zu setzen, dass sie zu leuchten beginnen. Seine Rosen sind weder rosig noch stachelig; sie sind körperlich, bildlich, konkret. Das Klischee reizt: Wie trifft oder fehlt die Metapher, wie flexibel und ausdrucksstark gelingt es der eigenen Blumensprache, sich zwischen Erotik, Vulgarität und Zärtlichkeit zu bewegen?
Wer sich mit Benns Leben beschäftigt, entdeckt bald, wie eng Liebesgedicht und Liebeserfahrung bei diesem Autor miteinander verbunden sind. Das mag verwundern, nachdenklich macht es jedenfalls. Benns Leben befeuerte sein Schreiben, gewiss, dies gilt indes, wichtiger vielleicht, auch andersherum: Das Schreiben treibt das Leben an. Die Gedichte sind Niederschläge und Substrate, Gefühls klärungen ebenso wie Gefühls fälschungen , Selbstsondierung und Du-Forschung. Ihr Sound: widersprüchliche Lebendigkeit. Benns Kalender, Manuskripte, Briefe, seine Auftrittsdaten, Hotelrechnungen und Widmungen belegen die enge Verzahnung von Ehe und Ausflug, Eros, Sexualität, Reflexion und Schreibproduktion. Und doch lässt sich, setzt man Lebensspuren und Gedichte nebeneinander, glücklicherweise weder das eine noch das andere aus dem anderen oder einen erklären.
Die Töne der Gedichte wechseln. Melancholisch gereimte Verse stehen neben selbstironischen, dem Alltäglichen zugewandten Strophen, pragmatisch, rhythmisch offen, scheinbar kühl. Der Mensch zeigt sich als wechselvolles Schichtenwesen. Liebe zur Kneipe, zur Poesie, zu Frauen, zum »Dunklen«, sich selbst. Die Reihenfolge darf variieren. Doch mindestens ein »Ich« bringen Benns Liebesgedichte immer in Anschlag. Sie entstehen an der akut (spitz und dornig) gefühlten Grenze dieses Ichs zum Du. Vergänglichkeit, Trieb und Gier, Sehnsüchte nach Auflösung und Dauer, nach Identität und Entgrenzung des Ichs mischen sich, mischen sich ein.
Gottfried Benn, Spross eines Pfarrhauses, fühlte sich, wie er selbst gern betonte, dem 19. Jahrhundert mit seinen Glaubenssätzen und Werten zugehörig. Liebe zum Transzendenten, zu Wesen, die nicht antworten, dem Echoraum der Stimmen? Zum einen gewiss. Zum anderen wird er Mediziner, wendet sich Greifbarem zu, der Materie. Und bleibt Romantiker, was Metaphysik und Idealismus mitsamt ihren Brechungen durch Nietzsche angeht – schwarzer Romantiker, der von Geschichte und Erfüllung, Sinn und Bedeutung, Männlichkeit und Überlegenheit träumt. Mit 28 Jahren, frisch verheiratet, wird er in den Ersten Weltkrieg nach Brüssel geschickt.
Gottfried Benn, Meister der Tarnung, der sich auch vor seinen Frauen geheim hält, sich ins Schreiben zurückzieht, seine Gedanken pflegt und sich gern als Einsamen darstellt, als »Bozenerstraßenhöhlenbewohner«, ist ein Einerseits-andererseits-Mensch. Er versteht sich als Intellektueller nach eigener Façon, Irrgänger in den Jahren 1933–34, Dichter und Dichterdarsteller im Arztkittel oder Soldatenrock, ein Mann der Gegensätze und Ambivalenzen, der nicht nicht an Gott glaubt, aber das Glauben bezweifelt, der nicht nicht an die Frauen glaubt und nie von ihnen lassen kann, der sie nach jahrelanger Arbeit als »Hurendoktor« in vielerlei Vorder- und Rücksichten kennt, sich als Flimmertier und Radardenker beschreibt, Gedanken sucht und wörtliche Wahrheiten erfindet über das Menschengeschlecht.
1949 spricht er von »Phase 2« des Schreibens. Der Zustand der Gegenwart und des Denkens bedrängen ihn. Auch sein eigener. Nach seinem Engagement für die Nationalsozialisten 1933/34 war Benn bald in Konflikt mit Hitlers System geraten. Er erhielt Publikationsverbot und floh als Arzt in die Wehrmacht. Ab 1948 erlebt er ein fulminantes »Combak«. Bis zu seinem Tod erscheinen 18 Bücher, sie umfassen Gedichte, Essays, Prosa sowie die Biographie Doppelleben – ein zwiegesichtiges Stück
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