Heimliche Helden
nicht »Kräuter« heiße, verkneift Valentin sich für dieses Mal.
Dem bösen Triumph die präzise Installation des Narren entgegengesetzt. So handelt einer, der weiß, dass er zu fürchten hat und diese Furcht auch empfindet. Heldenkategorien helfen hier nicht weiter. Die Situation ist viel »menschlicher«, sprich gemischt: Angst, Pragmatismus und Alltagsbeobachtung wirken zusammen. Der Held, der immer schon als Nichtheld erschien, das komische Wesen der Brechungen und Unglücke, des Widerstandes durch Wörtlichkeit, spricht vorsichtig weiter.
Bald führt das Deutsche Reich Krieg; auch München, Valentins Stadt für Leben und Kunst, wird zerstört. Ab 1941 tritt der Mann aus der Au nicht mehr auf, seine Lebensverhältnisse verschlechtern sich rapide. Er muss ins Ferienhaus der Familie nach Planegg ausweichen, wo er versucht, sich als Scherenschleifer durchzubringen. Wenn er nicht schleift, steht er stumm an der Würm, die aus dem Starnberger See in die nun »ausländische« Isar rauscht und der letzten Eiszeit ihren Namen gab.
Valentins »Exil«
Die Frage nach der Verknüpfung von Schreibort und Biographie lässt sich nicht »unschuldig« angehen. Die eigene Verwicklung in Biographisches ist dabei unvermeidbar und wird zur gezielten »saudummen« Absicht: Die Einbettung einer Stimme in eine Stadt hört nun einmal ein lebendiges, konkretes Ohrenpaar, das an einem Kopf sitzt. Dieser wiederum sitzt, Valentinsch korrekt, auf einem Hals, der Hals auf einem Rumpf etc., und das Ganze hockt als »ich« in den siebziger Jahren vorm Radio.
Valentin war damals im bayerischen Rundfunk regelmäßig beim Mittagessen, Kaffeetrinken und Abendessen zu hören. Ein Fall öffentlich-rechtlich gesteuerter Wir-Bildung? In meinem Fall kam (erschwerend? erleichternd?) hinzu: der Radioapparat stand in Planegg.
Den Ort Planegg hatte der Komiker Anfang der zwanziger Jahre kennengelernt, als er sich in der Villa von Josef Vallés, dem Direktor des Varietés Monachia, von der eigenen Nervosität erholen sollte:
Es war genau so, wie es mir der Direktor geschildert hatte, nur mit dem Unterschied, – das Fliegensummen war tagelang Hundegebell, das Vogelgezwitscher wurde durch fortwährendes Entengeschnatter und Hühnergegacker und das Springbrunnenplätschern durch Abladen von 70 Ztr. Steinkohlen aus einem Blecheimer ersetzt. – Es war also entsetzlich – ich klagte über schwache Nerven, konnte aber zu meiner Genugtuung feststellen, dass ich noch gute Nerven hatte, denn sonst hätten dieselben diesen Höllenlärm nicht ausgehalten. 79
1924 kaufte Valentin ein Haus an der Würm und überschrieb es seiner Frau. Sie und die Familie hielten sich regelmäßig dort auf, während er bis zum Frühjahr 1943 immer nur für Kurzurlaube und Wochenenden erschien. 80 Da seine Münchner Wohnung im April 1944 ausbrannte, musste er zu seinem Leidwesen sogar noch nach Kriegsende in Planegg bleiben; man wies ihm in der zerstörten Stadt keinen Wohnraum zu.
Valentins Haus liegt an einer Straßenkrümmung eben vor jener Dorfampel, an der, als ich in Planegg aufwuchs, regelmäßig die spektakulärsten Unfälle passierten, gleich neben dem Metzger, gegenüber vom Kottmeier, der kleinen Wirtschaft, die inzwischen einen florierenden Biergarten betreibt. Die Kreuzung zieht sich: Biegt man links ab, muss man 40 Meter geradeaus fahren, um nach rechts weiterzukommen. In der Beuge, die sich aus dieser Versetzerei ergibt, finden sich die Würm und die Wohnstatt des einen berühmten Ortseinsäßigen. Schon als Kind war es mir ein Rätsel, wie ein Mann mit so langen Beinen in ein so geducktes Haus hineingepasst haben soll. Es neigt sich schräg hinunter zum Fluss, der in den siebziger Jahren, weißschaumig, chemische Gifte und tote Fische von Starnberg nach München transportierte. Zu Valentins Zeiten war die Stadt weit fort; noch 30 Jahre nach dem Krieg bestanden viele Planegger Straßen aus Kies, aus den Sickergruben vor den Häusern stank es gemein, beim Bauern namens Bauer brüllten Kühe, und Alexander, Valentins Enkel, ging in meine Klasse. Er war klein und so kurzbeinig wie ich. Das Enkelsein raunte man ihm hinterher. Mir tat leid, dass sein Opa schon tot war, zugleich beneidete ich ihn, denn seinen toten Opa gab es auf Platte, meinen indes nicht. Von den Platten klang Valentins Stimme beweglich wie der Fluss, wenn man ihn unter den Chemieflocken denn einmal sah. Am Ufer der damaligen Würm, neben dem Valentinhaus, verkündeten Schilder: »Baden verboten bei
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