Heimliche Helden
wird auf vollkommen neue Weise bewegt.
Die von Anfang an offensichtliche und notwendige Verbindung von Schreibort und Text in Valentins Leben erfuhr ab 1933 eine empfindliche Störung. Valentin Fey verstand es, sich vom Naziregime fernzuhalten, das den erfolgreichen »Volksunterhalter« gern in seine Propagandamaschine eingebunden hätte. Er führte Angst vor Geschwindigkeiten über 30 km/h, Eisenbahnhass und generelle Reisevermeidung ins Feld. Schon das münchennahe Planegg bezeichnete er als »Ausland«. Valentin, der sich als unpolitisch begriff und keiner Partei angehörte, entzog sich, so gut es ging (es ging gut), zog sich zurück. Die Nazis wollten ihn nach Polen schicken, auf dass er dort abends die Soldaten unterhielte; das Unternehmen, heißt es, scheiterte daran, dass Valentin verlangte, mit einer Kutsche gefahren zu werden. Unpolitisch?
Nun, gewiss. Eine Gratwanderung: ebenfalls. Diverse Witze über Hitler schrieb man dem Komiker zu, er stritt ab. Die dreißiger Jahre wurden künstlerisch und finanziell schwierig. Valentin beschäftigte sich intensiv mit Psychologie, bewunderte Charlie Chaplin und wollte den deutschen Groteskfilm begründen. Seine Kunstvorhaben indes scheiterten; mit dem Museumsprojekt Panoptikum war sein und Karlstadts gesamtes Geld verbraucht. 1935 versuchte Liesl Karlstadt, sich das Leben zu nehmen; zu eng und kompliziert war die finanzielle und vor allem auch amouröse Verflechtung der beiden geworden. Nach Jahren engster Zusammenarbeit suchte die Schauspielerin bereits seit 1930 nach eigenständigen Möglichkeiten bei Theater und Film, worüber es mit Valentin immer wieder Auseinandersetzungen gegeben zu haben scheint. Erst 1937 trat das Paar überhaupt wieder gemeinsam auf.
Auch dem »Herrn Hitler« soll Valentin begegnet sein. Nach dem Krieg wurde in verschiedenen Versionen davon erzählt; was Gerücht, Wahrheit oder Projektion ist, lässt sich nicht entscheiden. Valentin soll den Narren gespielt haben; durchweg bestätigen seine Zeitgenossen, dass der Münchner Komiker sich nicht vor den nationalsozialistischen Karren spannen ließ. In seinem Nekrolog im Februar 1948 schrieb Oskar Maria Graf: »Und als Hitler kam, schickte Valentin an den ihm wesensverwandten Schauspieler Pallenberg nach Wien eine offene Ansichtspostkarte aus Garmisch; darauf stand bloß dieser eine Satz: ›In Garmisch ist sogar der Schnee noch frei – Herzlichen Gruß Karl Valentin.‹« 77
… und Leere
»Hier sitz ich allein und spähe umher und lausche hinauf und hernieder« – mit diesem Zitat »aus dem alten Lied an der Weser« beginnt Karl Valentin seinen Sketch Karl Valentins Olympiabesuch . Da reiste er einmal, nahm Platz auf der Bank Nr. 36 des Olympiastadions, ein Foto beweist es, und musste sich, die Beinstängerl lang vor sich hingestellt, fragen:
Wie kam es […], dass ich zur Olympiade zu spät kam? – Ich blieb mir die Antwort nicht schuldig, Ihr Leichtsinn ist daran schuld! erscholl es von meinen Lippen. (Ihr bedeutet ich selbst). Denn aus Eigentrotz sage ich selbst zu mir nicht du, sondern Sie, weil man da vor sich selber viel mehr Respekt hat als mit der Duzerei. – Nur einen Tag zu spät, und dennoch zu spät! – O Herr, bewahre mich bei der nächsten Olympiade 1940 vor solchen Etwaigitäten! 78
Auf dem Foto sieht man das alte Berliner Olympiastadion, ohne Dach, und eigentlich ist es neu, nämlich nazineu aus riesigen Steinquadern gebaut. Valentin Fey, der aussieht wie Karl Valentin und sich auch als Karl Valentin da hingesetzt hat, der also gerade auftritt, sitzt tatsächlich vollkommen allein im großen Rund, weil er für die Anreise aus München 14,5 Tage brauchte. Bis allein die Beine in der Deutschen Reichsbahn verstaut waren. 14 Tage dauerten die Olympischen Spiele. Nun trägt der Mann aus der Au sein schönstes Gewand mit Zylinder und extrem polierten schwarzen Schuhen und beugt sich erschöpft in der Sonne auf seinem leeren Platz. Er würde uns vermutlich belehren, dass sein Platz natürlich voll ist, denn er sitzt ja darauf, aber alle anderen Plätze sind definitiv leer, sehr leer, und Valentin wirft einen langen dünnen Schatten in das Stadion wie eine Uhr. Eben noch hat man hier Triumphe gefeiert. Wie wehten die Hakenkreuzfahnen. Aber der Sprecher ist verspätet eingetroffen, und alles wurde bereits abgeräumt. So lang zieht sich der Weg von München nach Berlin. Hitler kennt diesen Weg ebenfalls, und den unpolitischen Witz, wie gut es sei, dass der »heil«-Führer
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