Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimliche Helden

Heimliche Helden

Titel: Heimliche Helden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Draesner
Vom Netzwerk:
Wirklichkeit des Gesprochenen aufzubauen und ihrerseits zu zeigen.
    Eigner ist weder Realist noch gar Naturalist; er ist ein denkfühlender Autor, der das »an der Wirklichkeit Vorbeisprechen« in unserer Sprachwirklichkeit durch die Un-Wirklichkeit des Sprechens in seiner Literatur so umlenkt, dass die Unwirklichkeit des wahrgenommenen Wirklichen als Wirklichkeit verzogener Erinnerungen sowie der Wünsche und der Sprache erscheint. Einfacher wird es nicht, wenn Subjekt, Erinnerung, Liebe und Rede sich kreuzen. Einfacher wird es nicht, denn ihr sich Kreuzen, sich Lieben und Auf-Stören geschieht notwendigerweise. Eigners Lange zwölf Stunden inszenieren das einfach-raffiniert: Grit und Tom erzählen mit 15 ihre Zukunft als 40-Jährige – sie erinnern sich in diese Zukunft hinein; zugleich erzählen sie als 40-Jährige, was sie mit 15 erlebten, in grammatischer Gegenwart. Listig sind so Zeit und Raum verschränkt, das gesamte Leben einer Beziehung tritt hervor.
    Ihr Raum ist Sprache. Er ist, bei Eigner stets, Raum inneren und äußeren Sprechens: Die Figuren erleben etwas und erzählen es sich zugleich noch einmal, wodurch die Wirklichkeit zumindest doppelt wirklich wird, und Zeit als ein eigenwilliges Kaugummibläschen erscheint, groß, wenn es durch den Mund geht und man Lebensatem hineinpustet, bis es platzt. Eigner spießt auf und trifft. Als Person wirkt er gern milde verpackt, was selbstverständlich täuscht oder galant ist, weich wie eine Seite seiner Figuren, während die andere Seite grübelt, brötelt, arbeitet und sieht. Scharf sieht, versteht sich.
    Eigner gibt eigenen Lebensstoff in seine Texte, manchmal beiläufig, gern überraschend, immer genau. So liest man in den Langen zwölf Stunden : »Deutsche dürfen nicht ins Schwimmbad« – stutzt, und versteht, für Momente wenigstens, was es heißen mag, im Jahr 1942 geboren zu sein, sich an die Zerstörung Dresdens zu erinnern, und die Bundesrepublik der langen Nachkriegszeit, die vielleicht nicht zu Ende ist, bis heute nicht, exakt im Gedächtnis zu halten . Dank dieses Lebensstoffes werden Eigners Texte ernsthaft und komisch. Themen kehren wieder, auch jenes, das mich von Anfang an anzog, kein Frauen- oder Männerthema, nein, viel mehr: die Frage danach, wie Körper, ich könnte auch sagen Sinnliches, sich in Sprache übersetzt.
    Im Sommer 1995 saß Gerd-Peter Eigner, fast als wäre er eine seiner Figuren, in einem Haus am Wannsee in Berlin, eher rund und kurz als lang und hager, mit großem Kopf. Die Augen klug, im Gesicht etwas Landverbundenes, in der Sprache ein nicht zuordenbarer Mischklang aus niedersächsischem Hochdeutsch mit untergründelndem östlichem Weichton, begleitet von der Möglichkeit norddeutschen Krugens und Deichens. Sobczyk also, dessen Familie sich selbst zu »Eigner« übersetzte. Wie man aussieht, spiegelt, woher man kommt und wie man lebte. Eigners Mutter flüchtete 1945 mit ihren Kindern aus Schlesien nach Wilhelmshaven; Eigner selbst, ein Ver- und Übersetzer, ein steter Wanderer, flüchtete bereits als Schüler nach Paris, kehrte in die norddeutsche Provinz zurück, arbeitete zwei Jahre als Lehrer, brach von Neuem auf. Nordafrika, Vorderasien, Kreta. Er schrieb, hangelte sich durch. Rom, Paris, Olevano, Berlin heißen die wichtigen, äußerlich benennbaren Orte.
    Und die inneren?
    Jetzt kommt es. Ich verrate sie. Das hat noch keiner getan, keine gewagt. Dabei ist fraglich, ob Eigner selbst seine innersten Orte kennt. Allemal für sich allein.
    Seine innersten Orte sind Schwimmbäder.
    Brandig , Mitten entzwei , Die italienische Begeisterung – im Zentrum all dieser Romane, gern also gleich zu Beginn, stößt man, ebenso wie in den Zwölf langen Stunden der Kindheit, auf Schwimmwasser. Selten das Meer, eher umzäuntes Areal, in dem man sich ertüchtigen darf oder muss, andere betrachtet, selbst angesehen wird. Man geht Frauen schauen, so in Brandig , und sie schauen zurück. Man springt vom Turm, wenn man es wagt, wie Theo Bronken in der Italienischen Begeisterung, treibt sich und den Körper zu Disziplin, durch Kunststückchen, auf böse Grenzen zu.
    Eigners Texte handeln von Beschädigungen und Gewichten.
    Um dies bestmöglich zu können, sind sie gebaut wie Schaukeln: Zwei Seiten gehen im Wechsel auf und ab, höher, tiefer, Überschlag. Zwei Seiten: der Held und sein Betrachter – nein: der Betrachter und sein Held. Täter, erlebender Mittäter, erlebender mittäterischer Leser. Also drei, verfangen in wechselseitiger

Weitere Kostenlose Bücher