Heimliche Helden
Hütten, Tsunamis, Schmutz. Im Süden der Stadt thront auf einem Felsvorsprung eine mächtige, strahlend weiße Villa, einst Sitz des britischen Gouverneurs, heute ein luxuriöses Hotel. Neben den Früchten am Straßenrand – allein 23 Arten Papayas wachsen in Sri Lanka – wird in kleinen IT-Läden gesurft. Man mahlt Gewürze, reicht Kleidungsstücke, Spielzeuge, Plastikschuhe über wacklige Tresen. In den hintersten Nischen der Läden, möglichst entfernt vom Straßenstaub, stehen hie und da kleine Fernsehapparate, Kampfszenen der letzten 25 Jahre flackern über die Schirme.
Politik bedeutet Entscheidung, Zuversicht, die Ausstrahlung von Kompetenz. Das ist, gewiss, ein Klischee. Doch eben in dieser Spannung berühren sich Politik und Fiktion heute besonders stark. Gemeinhin wird (auch) der (literarische) Held als Ganzes dargeboten, sozusagen in voller Pracht als Siegfried in den Hof gestellt, um dann die Handlung aus seiner Figur heraus zu entwickeln, kräftig und kernig, pathetisch und komisch. Schädlichs Roman kehrt diesen Prozess um. Seine Figuren sind aus umeinander gelegten Schichten gebaut – niemand »erscheint«, jeder tritt nur stückchenweise, irisierend, flackernd und von anderen und ihren Worten bestimmt in den Erzählraum ein. Sein »Heldentum« zeigt sich eben darin, wie geschickt er mit diesem Nichtsein, mit der eigenen Verwischung umzugehen vermag.
Die Fälle, die Awa und der Erzähler referieren, erzählen, wie mit Sprache gehandelt und dabei Politik im Kleinen oder Großen gemacht wird. Allmählich zeigt sich aber, dass alle vorgeführten Identitäten des Buches, auch jene der Helfer, Verwandten und Freunde der Erzähler, aus Scheinbau und Fassadenrhetorik bestehen. Hier von »Lügen« zu sprechen, wäre in der Regel zu grob – es handelt sich um Verdeckungsakte, die Flirts kaschieren, oder um Dinge, die man vielleicht bislang von sich selbst nicht wusste: Wie jener Mann, der einer alten Frau hilft, einen Dieb zu stellen, den Dieb dabei nicht wenig verletzt, und danach sagt: »Ach, wissen Sie, das mach ich gern.«
Manchmal wiederum wäre es viel zu harmlos, das Wort »Lüge« zu verwenden. Ein Staat biegt sich die Befreiung von Buchenwald ideologisch passend zurecht, ein SS-Mann die eigene Biographie. Schädlichs recherchierte, das Staatswesen Deutschland in seinen verschiedensten historischen Gestalten angehende Geschichten sind spannend und oft genug atemberaubend. Seine eigentliche Qualität als ein Stück politischer Literatur gewinnt der Roman aber erst in einem klugen zweiten Schritt. Er gibt sich mit den Kategorien »richtig« und »falsch« nicht zufrieden. Spektakuläres, das uns eindeutig scheint, mischt er mit »kleinen« Fällen, er konzentriert sich auf den Einzelnen, fragt nach den Menschen, die sich erfinden oder von anderen erfunden wurden. Hier, in den konkreten Leben, verlieren sich rasch die Gewissheiten, die beiden Meteorologen bemerken es wohl. Plötzlich muss man sich fragen: Gibt es harmlose Lügen? Gute Lügen? Wo heiligt der Zweck die Mittel? Niemals? Oder welche Ausnahmen sollen möglich sein?
Überall stößt man auf Menschen, die hinter Masken verstecken, wer sie waren oder sind. Täter empören uns; es ist einfach, sich solcher Empörung anzuschließen. Ambivalenter stellen sich die Fälle der Personen dar, die in unmittelbarer Umgebung der »Täter« leben, etwa der Fall jener Frau, die den in einen harmlosen Germanisten verwandelten SS-Mann ein zweites Mal heiratet, nachdem sie ihn, den »Toten«, endlich gefunden hat. Erst sehr viel später werden die Söhne in die Identitätsgeheimnisse des Vaters eingeweiht.
Zum Ende des Romans gewinnt der Satz: »Sein, wer man ist, und nicht sein, wer man war« für die beiden Protagonisten neue Bedeutung. Ihr rhetorisches Duell wird nicht entschieden, sondern aufgekündigt, der Ich-Erzähler reist ab. Einen Sprechkampf verliert oder gewinnt man nicht wie einen Waffengang, man verflüssigt sich, gerät selbst in Bewegung.
Schädlichs Ich-Protagonist fliegt um die Welt. Auf dem Weg nach Australien werden die Flucht zu und die Flucht vor sich selbst für den Ich-Helden von Anders auf infame Weise ununterscheidbar. Er gerät an einen Reptilien- und Amphibienforscher, der ihm eine Vielzahl von Beispielen tierischer Identitätscamouflage etwa durch Anpassungsfärbung der Haut nennt. Prozesse der Mimikry, selbst hier. »Tiere lügen nicht«, heißt es gemeinhin; auch sie allerdings wechseln Farbe und Form, auch sie geben vor,
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