Heimliche Hochzeit um Mitternacht (German Edition)
Mann, der ihr Schicksal besiegeln würde. Als es an ihrer Tür geklopft hatte, war wider Erwarten nicht ihr zukünftiger Gemahl vorstellig geworden, um sie abzuholen, sondern St. John. Er hatte ihr ein Bouquet überreicht und sie gefragt, ob er sie zur Kapelle eskortieren dürfe.
Am gestrigen Abend hatte sie sich für die Zeremonie nicht die seidene Abendrobe aus ihrem Koffer genommen, sondern ihr bestes Tageskleid. Im Schein des Kaminfeuers hatte der lindgrüne Stoff vorteilhaft gewirkt, und seine Mängel waren nicht auf den ersten Blick aufgefallen. Nun indessen, da das helle Tageslicht jedem, der genau hinsah, enthüllte, wie zerschlissen das Kleid bereits war, glaubte sie, vor Scham im Boden versinken zu müssen.
„Aber, aber, meine Liebe, machen Sie doch kein solch verdrossenes Gesicht – obwohl ich verstehen kann, dass Ihnen nach dem langen Gespräch mit der Pfarrersfrau nicht nach Lächeln zumute ist. Hat die Gute Sie in Ihren ehelichen Pflichten belehrt?“
Miranda errötete ob der direkten Frage ihres zukünftigen Schwagers. „So ungefähr. Und dann hat sie mich über meine Eltern ausgefragt und über die vergangenen vierundzwanzig Stunden. Und sie versicherte mir, dass sie mich jederzeit bei sich aufnähme, gleichviel, was Sie mir angetan haben. Und dass sie keine Fragen stellen würde.“
St. Johns Lachen hallte von dem Kreuzgewölbe über ihren Köpfen wider, woraufhin der Vikar und seine Gattin sich umwandten und ihm einen missbilligenden Blick zuwarfen. „Und wie wir sehen, streckt Gott die Dame nicht sofort für ihre Lüge nieder. Mein Bruder und ich machen wenigstens kein Hehl daraus, dass wir sündigen. Sie hingegen verbirgt ihr Begehren, die Verführungsgeschichte über Sie und mich oder meinen Bruder zu erfahren, hinter dem Angebot, Ihnen Schutz zu bieten.“
„Meine Verführungsgeschichte?“
„Die beiden hoffen auf das Schlimmste, meine Liebe. Wenn Sie vor dem Altar in Tränen ausbrechen und um Rettung flehen würden, täten Sie ihnen einen großen Gefallen.“
„Lord St. John!“, sagte Miranda entsetzt.
„Noch besser wäre, Sie würden mir weinend in die Arme sinken, damit ich Sie hinaustrüge, und mein Bruder bekäme einen Wutanfall. Ich wäre übrigens hocherfreut, Ihnen zu Diensten zu stehen.“
„Was hätte ich dann für einen Ruf!“
„Einen aufsehenerregenden allemal. Vom ansehnlichen jüngeren Bruder des Duke of Haughleigh aus der Kirche entführt zu werden wäre beachtlich. Oh, wie ich sehe, verärgere ich Sie.“ St. John deutete auf das Fenster oberhalb des Altars, in das mit buntem Glas der Kopf eines Heiligen eingearbeitet war. „Ich weiß nicht, was meine Mutter sich dabei gedacht hat, mich nach diesem Mann dort oben zu nennen. Falls sie hoffte, der Name würde mich mit Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit durchdringen, dürfte sie enttäuscht worden sein.“
„Dann wurde das Fenster anlässlich Ihrer Geburt in Auftrag gegeben?“
„Können Sie nicht die eklatante Ähnlichkeit zwischen uns erkennen?“ Er neigte den Kopf zur Seite und verdrehte andächtig die Augen. Miranda musste lachen.
„Nein, St. John ist ein alter Familienname und das Fenster für einen meiner Vorfahren in Auftrag gegeben worden.“ Er fasste sich mit einer theatralisch arroganten Geste an das blonde Haar. „Eine gewisse Ähnlichkeit ist trotzdem vorhanden. Die meisten für diese Kapelle angefertigten Kunstwerke sind nach den Antlitzen irgendwelcher Familienmitglieder geschaffen worden. Nur mein Bruder sieht uns Radwells so unähnlich, dass man denken könnte, er sei nicht das Kind unseres Vaters, sondern das von einem Liebhaber unserer Mutter.“
„Ich bin nicht Ihrer Meinung“, erwiderte sie und zeigte auf eine Marmorplastik. „Dieser düster blickende Märtyrer dort in der Ecke könnte Ihr Bruder sein. Sehen Sie sein Profil?“
St. John lachte. „Nein, mein Bruder wurde nicht nach einer biblischen Figur benannt. Bei ihm dachte man vielmehr an einen römischen Imperator. Das passt doch hervorragend, finden Sie nicht?“
„Was machst du denn noch hier?“, ertönte es ungehalten hinter ihnen. St. John hat recht, dachte Miranda. Der Duke hat die Stimmgewalt eines antiken Imperators. Und er gibt sich keine Mühe, seinen Zorn zu verbergen.
„Du brauchst schließlich Zeugen für diese kleine Veranstaltung, Marcus. Und wie könnte ich die Hochzeit meines eigenen Bruders verpassen?“
„Wir hatten ausgemacht, dass du unverzüglich meinen Grund und Boden verlässt“, erklärte
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