Heimliche Sehnsucht: Mittsommergeheimnis (German Edition)
Soweit es ihn betraf, stand jedenfalls schon jetzt fest, dass die geplante Kampagne ein voller Erfolg wurde.
“Ich kann nicht mehr!”, stieß Linnea knapp zwei Stunden später atemlos aus, als sie eine kleine Lichtung erreichten. Schmerzerfüllt verzog sie das Gesicht und ließ den schweren Rucksack von ihrer Schulter rutschen. “Mein Rücken bringt mich um, ich habe Seitenstechen, und meine Füße sind bestimmt schon voller Blasen! Wenn wir jetzt keine Rast einlegen, wirst du mich den Rest des Weges tragen müssen.”
“Nicht nötig”, erwiderte Kristian, nachdem er einen kurzen Blick auf seinen Kompass geworfen hatte. “Wir sind sowieso da.”
Ungläubig blickte Linnea sich um. Um sie herum nur Bäume, Bäume und noch mal Bäume. Soweit sie es beurteilen konnte, unterschied sich dieses Stück Land durch nichts von dem, das sie auf ihrem Weg hierher durchquert hatten.
Und deswegen hatte sie einen mehrstündigen Gewaltmarsch mitten durch die Wildnis unternommen? Das konnte unmöglich Kristians Ernst sein!
“Ich schlage vor, dass ich schon mal mit dem Aufbau des Zelts beginne, während du Feuerholz besorgst”, sprach er weiter und erweckte dabei ganz und gar nicht den Eindruck, zu scherzen. “Zu dieser Jahreszeit kann es so weit nördlich nachts ziemlich ungemütlich werden. Wir sollten besser gut vorbereitet sein, findest du nicht?”
Linnea blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen, wenn sie nicht frieren wollte. Doch sie bedachte Kristian noch mit einem wütenden Blick, ehe sie ging. So langsam fragte sie sich, ob er das alles nicht bloß so arrangiert hatte, um sie zu ärgern. Auf der anderen Seite: Als junges Mädchen war sie oft stundenlang mit ihren Freundinnen Finja und Hanna auf Entdeckungstour durch die Wälder rund um Dvägersdal gestreift. Und in lauen Sommernächten hatten sie nicht selten draußen gezeltet. Warum stellte sie sich also jetzt plötzlich so an? Hatte das bequeme Leben in London sie etwa so verweichlicht, dass sie in der freien Natur nicht mehr zurechtkam?
Doch dann dachte sie an jene schicksalhafte Mittsommernacht, in der Audrey verschwand. Danach war nichts mehr wie vorher. Mit Audrey war sämtliche Unbeschwertheit aus ihrem Leben verschwunden, und erschreckenderweise hatte sich daran bis heute nicht wirklich etwas geändert. Und das lag auch ein wenig daran, dass sie noch immer leichte Gewissensbisse wegen Audrey verspürte. Sie hatte das Au-pair-Mädchen der Familie ihrer Freundin Finja nie sonderlich leiden können. Nein, viel mehr als das: Sie war rasend eifersüchtig gewesen, nachdem sie die Blicke bemerkt hatte, die Kristian –
ihr
Kristian – Audrey zuwarf, wenn er sich unbeobachtet glaubte, während er sie, Linnea, überhaupt nicht beachtete.
Seit damals fragte sie sich immer wieder, was damals im Wald wirklich geschehen war. Und ob ihre negativen Gefühle für Audrey vielleicht durch die magische Atmosphäre jener Mittsommernacht dazu geführt hatten, dass …
Nein, Unfug! Das waren lediglich die Eifersüchteleien einer Elfjährigen gewesen, und durch die konnte doch niemand zu Schaden kommen – oder? Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass sie sich manchmal insgeheim gewünscht hatte, Audrey würde einfach verschwinden. Schon allein deshalb fühlte sie sich auch heute immer noch manchmal schuldig.
Linnea atmete tief durch und zwang sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Fest stand, dass sie sich schon irgendwie durchbeißen würde. Keinesfalls wollte sie sich Kristian gegenüber eine Blöße geben – und zumindest bereitete es ihr kaum Schwierigkeiten, genug Brennmaterial für das Lagerfeuer zu finden. Es schien schon länger nicht mehr geregnet zu haben, und das Unterholz war entsprechend trocken. Linnea musste es eigentlich bloß noch vom Boden aufsammeln.
Doch da drang ein Wispern an ihr Ohr. Es klang beinahe wie ein … leises Weinen?
Unsinn! Entschieden schüttelte sie den Kopf. Das war bloß der Wind, der pfeifend durch die Bäume streifte, nichts weiter.
Sie beugte sich gerade nach einem besonders dicken Ast, als sie ein raschelndes Geräusch hinter sich vernahm. Erschrocken wirbelte sie herum, doch da war nichts – oder? Bewegte sich da nicht etwas?
Ihr Herz klopfte so heftig gegen ihre Rippen wie ein Vogel im Käfig. Sie wollte nach Kristian rufen, doch sie bekam nur ein heiseres Krächzen hervor.
Und dann erklang plötzlich, wie aus weiter Ferne, eine heisere Stimme, die ihren Namen
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