Heimliche Wuensche
würde also passieren, wenn Nellie das Haus verließ? überlegte Terel. Wenn sie in eine andere Stadt zog und Terel und Chandler sich selbst überließ? Terel wußte, daß Charles ihr das Leben zur Hölle machen würde. Er würde zweifellos erwarten, daß Terel nun ihre Tage am Herd und Waschzuber verbrachte und versuchen würde, die faule Anna zu einer nützlichen Tätigkeit anzutreiben.
Wenn Terel sich diese Arbeiten vom Hals halten wollte, würde ihr das erst nach schweren Kämpfen gelingen, die einem Krieg gleichkamen. Ihr Vater konnte umgänglich sein, auf eine kalte Art vielleicht, aber immerhin verträglich, solange man seine Alltags-Bedürfnisse stillte und er nicht zu viel Geld dafür aufwenden mußte. Aber er konnte zum Tyrannen werden wegen solcher Lappalien wie ein Essen, das zu spät auf den Tisch kam. Terel mochte sich seine Laune nicht vorstellen, wenn sie ihm ein Dinner kochen mußte. Sie wüßte ja nicht einmal, wie man ein weiches Ei zubereitete.
»Nellie kann nicht vor mir aus dem Haus gehen«, flüsterte Terel. Unter keinen Umständen würde sie Nellie erlauben, zu heiraten und sie mit ihrem Vater alleinzulassen, damit sie ihn versorgte. Terel knirschte mit den Zähnen. Und überhaupt kam es nicht in Frage, daß Nellie so jemanden wie Mr. Montgomery heiratete. Heute hatte sie nur eine Kostprobe von dem erhalten, was man in der Stadt reden würde, wenn sich die fette, langweilige Nellie so einen Mann angelte. Sie konnte schon jetzt Charlene reden hören: »Dein Mann ist nett; aber er ist nicht so wohlhabend oder so hübsch wie Nellies Gatte. Wer hätte gedacht, daß Nellie den Fang des Jahres macht, wo sie doch immer so häßliche Kleider trug? Terel, vielleicht hättest du das Kochen lernen sollen.«
Nein, dachte Terel, sie konnte diesen Spott nicht ertragen — und sie nahm sich vor, dafür zu sorgen, daß es keinen Grund gab, ihn ertragen zu müssen.
Punkt sechs Uhr kam ihr Vater durch die Haustür, wie Terel dies auch erwartet hatte, und sie lächelte, weil Nellie noch immer nicht von ihrem Ausgang zurückgekommen war. Sie zog ihr Taschentuch hervor, schniefte ein paarmal und rannte dann zu ihrem Vater.
»Oh, Papa«, jammerte sie und warf ihm die Arme um den Hals. »Ich bin ja so froh, daß du gekommen bist. Ich fürchte mich ja so.«
Mit angewidertem Gesicht löste Charles Terels Arme von seinem Hals. Er konnte eine körperliche Zurschaustellung von Gefühlen nicht leiden. »Warum fürchtest du dich denn so?«
Terel drückte das Taschentuch ans Gesicht. »Nellie ist nicht zu Hause.«
»Nellie ist nicht zu Hause?« fragte Charles in einem Ton, als wäre die Welt untergegangen. »Wo ist sie?«
»Ich habe Angst, es dir zu erzählen. Oh, Papa, ich hoffe, unser guter Name wird uns davor bewahren, daß dieser Skandal schlimme Folgen hat.«
»Skandal? Was soll das heißen?« Er schob Terel fast mit Gewalt zurück in den Salon. »Erzähle mir alles. Verschweige mir nichts.«
Terel erzählte ihm nun alles, was sie wußte — und noch mehr —, wobei sie geschickt ihre Tränendrüsen manipulierte. »Sie haben sich auf der Mauer vor allen Leuten umarmt! Ich würde mich nicht wundern, wenn die Leute nach diesem Skandal die Frachtverträge mit dir stornierten. Nellie nimmt keinerlei Rücksicht auf uns. Sie denkt nur an sich. Es ist kein Dinner vorbereitet, und im Oberstock herrscht das reinste Chaos.«
Charles’ Augen weiteten sich. Er verließ den Salon und ging nach oben. Es dauerte einige Minuten, bis er wieder herunterkam. Trotz Terels effektvoller Darstellung der Ereignisse betrachtete Charles das Problem sehr nüchtern. Er befürchtete keineswegs, daß Nellies skandalöses Verhalten irgendeinen Einfluß auf den Gang seiner Geschäfte haben würde. Wenn das möglich gewesen wäre, hätte ihn Terels Benehmen schon vor Jahren an den Bettelstab gebracht.
Es waren die ungeputzten Schuhe, die ihm Sorge machten. Als Nellie vor zwei Jahren heiraten wollte, hatte er ihr das ausgeredet. Er hatte gewußt, wie sein Leben ohne Nellie aussehen würde. Wenn Nellie das Haus verließ, würde er sich mit Terels Faulheit alleine auseinandersetzen müssen, mit ihrer Weigerung, einen Handschlag zu tun, der ihr keinen unmittelbaren Vorteil brachte.
Als Charles zum erstenmal mit Jace Montgomery zu- sammengetroffen war, hatte er sehr wohl gewußt, wer er war. Ein Jahr zuvor hatte ihn jemand auf ihn aufmerk- sam gemacht mit der Bemerkung, daß Jace der Sohn des Eigentümers von Warbrooke Shipping sei. Charles
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