Heimliche Wuensche
wissen, wenn er irgendwo hinkam. Anscheinend hatte bisher noch niemand in der Stadt sie überhaupt bemerkt.
Er nahm ihre Hände in die seinen. »Lag es daran, daß wir unter uns waren? Wir könnten mit mehreren Leuten ausgehen, wenn dich das gestört hat.« Das mochte ihm helfen, seine Hände besser in der Gewalt zu haben, überlegte er.
»Die Mauer«, sagte sie schniefend.
»Die Mauer?« Er lächelte. »Es hat dich also gestört, daß ich dich auf der Mauer in die Arme genommen habe? Du wärst sonst gestürzt.«
»Ich ... ich . . .« Sie konnte ihm nicht mehr verraten, konnte ihm nicht erzählen, daß die Leute möglicherweise ihre Verträge stornierten oder er keinen Respekt vor ihr habe. Wenn er sie so ansah wie jetzt, konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Vor der Küchentür klangen Schritte auf. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Es ist Terel. Du mußt gehen.« Ihre Stimme verriet Panik.
»Ich werde ihr guten Tag sagen.«
»Nein, nein, nein. Du mußt gehen.«
Jace verstand nicht, warum er so eilig Abschied nehmen sollte. Auch hatte er gar nicht die Absicht, schon jetzt zu gehen. Er schlüpfte in die Speisekammer, und im gleichen Moment betrat Terel die Küche. Er lehnte sich gegen ein Wandregal und konnte von dieser Stelle aus Nellie und ihre Schwester deutlich in der Küche sehen. Bisher hatte er immer nur Augen für Nellie gehabt; doch nun kam ihm der Unterschied zwischen den beiden Schwestern befremdlich vor. Denn Terel war mit einem teuren Wollkostüm bekleidet, ihre Haare waren gepflegt und frisch frisiert; während Nellie ein Kleid anhatte, das schon sehr alt zu sein schien.
»D-du bist aber schon früh aus der Stadt zurück«, stotterte Nellie.
»Ja.« Terel riß ihre Glacehandschuhe von den Fingern. »Ich konnte mir nicht länger die Skandalgeschichten über dich anhören. Offenbar gibt es in der Stadt kein anderes Gesprächsthema mehr.«
Nellies Blick zuckte zu der Speisekammer hin. »Ich glaube nicht, daß wir das jetzt erörtern sollten. Gehen wir doch erst einmal hinüber in den Salon, bevor wir . . .«
»Ich will nicht in den Salon gehen«, unterbrach Terel sie und löste die Nadeln, mit denen sie ihren Hut in ihren Haaren befestigt hatte. »Ich bin halbtot vor Hunger. Ich konnte nicht einmal einen Lunch in der Stadt bestellen, weil jeder mit mir über dich und dein Benehmen mit diesem Mann reden wollte. Es war unerträglich.«
»Terel, bitte, laß uns in den Salon hinübergehen. Dort können wir . . .«
»Schau dir nur diese Blumen an! Nellie, warum hast du mir nicht erzählt, daß jemand Blumen für mich brachte? Von wem sind sie? Von Johnny? Oder von Bob? Doch nicht etwa von Lawrence, wie?« Terel nahm das Bukett hoch, suchte nach dem daranhängenden Kärtchen und öffnete es. »Hier steht«, sagte sie, »>für die schönste Frau der Welt<. Wie reizend. Es muß von Lawrence stammen.« Sie schloß das Kärtchen wieder und sah dann, was auf der Vorderseite stand: »Für Nellie — in Liebe, Jace.«
Terel hatte die Aufschrift bereits dreimal gelesen, bis sie endlich begriff. Sie schleuderte die Blumen auf den Küchenboden. »Er ist also hier gewesen, nicht wahr?« zeterte sie. »Er war hier in diesem Raum. Trotz allem, was Vater und ich dir erzählt haben, setzt du also dein leichtfertiges Benehmen fort. Wie konntest du nur, Nellie? Wie konntest du nur?«
»Terel, bitte«, bettelte Nellie. »Könnten wir nicht . . .«
»Und dazu noch Brandy«, unterbrach Terel sie und hielt das leere Glas in die Höhe. »Dies geht zu weit. Warte nur, bis ich das Vater erzähle. Nellie, ich wußte gar nicht, wie dumm du bist. Weißt du denn gar nicht, daß die Leute, die dich lieben, wissen, was am besten für dich ist? Begreifst du denn nicht, was er von einer Frau wie dir verlangt? Er möchte dich betrunken machen und . . .«
Terel hatte der Speisekammer den Rücken zugekehrt; aber Nellie hatte diese direkt vor Augen und sah nun voller Entsetzen, daß Jace im Begriff war, in die Küche hineinzutreten und sich mit Terel anzulegen. Nellie schüttelte heftig den Kopf und sprintete dann quer durch die Küche. Terel holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, während Nellie Jace in die Speisekammer zurückschob. Ihr Körper befand sich in der Küche, ihre nach hinten gestreckten Arme jedoch in der Speisekammer.
». . . dann seine Lust an dir stillen«, schloß Terel.
In diesem Augenblick schnaubte Jace in der Speisekammer.
»Lachst du mich etwa aus?« fragte Terel empört.
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher