Heimspiel
die Wäsche wollten sie ihr gehen.«
»Könnte gehen, lass uns nächste Woche noch mal reden.«
»Was macht ihr denn morgen?«
»Wir laden die volle Gefühlskanone und schwanken noch zwischen ›Kanzlerin krönt Kaiser‹, ›Franz der Große‹ oder auch ›Wir sind alle ganz Sisi‹ – außerdem starten wir unsere Serie ›Von Barbarossa bis Beckenbauer – Deutschland, deine Kaiser‹.«
»Super! Und denkt ihr an die Buttons?«
»Das Revers der Kanzlerin zeigen wir groß auf Seite 2 mit Button und dem Aufruf ›Auch wir sind Franz-Patrioten!‹«
Tatsächlich greift am Folgetag keine Zeitung die Unterwäsche-Nummer auf.
»Die großen Gefühle zur Beckenbauer-Party haben jedes Detail verbrannt, auch diesen Fehler«, analysiert der Regierungssprecher.
Andererseits kommt die Kanzlerin in der Medienresonanz nur am Rande vor, was er verschweigt.
»Seien wir ehrlich: Uns entgleitet das Thema. Wir sind nur Staffage«, ärgert sie sich, lädt den Ärger aber nicht bei ihm ab.
Der Biograf hatte sich die Rede im Fernsehen angesehen und bei der Unterwäsche-Passage laut lachen müssen. Die war ihm bei einem Glas besonders eichenholzwürzigem Riojas eingefallen, und er hätte nie gedacht, das Kanzleramt lasse die durchgehen. Er macht sich also frohgemut auf den Weg ins Kanzleramt.
»Sie strapazieren unsere Freundschaft«, warnt ihn die Büroleitern. »Die Sache mit der Unterwäsche ist eine Frechheit, unprofessionell ist das!«
Streng sagt sie das, aber auch nicht so streng, dass er ernstlich in Sorge gerät. Er hat zwei Stunden Zeit mit der Kanzlerin bekommen, das muss reichen für das Buch. Mehr will sie nicht, denn wegen seines Opportunismus mag sie ihn nicht. Ebenso wenig mag sie Widerspruch, aber Opportunismus eben auch nicht. Also wird der Biograf vom Kanzleramt mit allerlei Material und neuen Fotos für das Buch versorgt, soll die Kanzlerin aber gefälligst in Ruhe lassen. Die kurzen Momente der Begegnung nutzt er zur ausschweifenden Detailglorifizierung. Im Buch wird es heißen: »Sie kommt allein. Nicht einmal die Mitte der Tür wählt sie für den Eintritt. Wie eine Assistentin ihrer selbst begnügt sie sich mit dem Rand. Mit dem Rand des Flurs, des Raums, der Sitzordnung, der Macht. Und wenn sie einem die Hand schüttelt, geschieht das mit der Sanftheit einer betagten Kirchenchorleiterin in Neubrandenburg. Sie mag Klavierspielen, aber diese Finger bringen kein Fortissimo zustande.«
Dem Regierungssprecher ist das zu viel.
»Die Sülze nimmt keiner Ernst. So wird uns das Buch nicht helfen«, bringt er besorgt vor.
»Doch, das hilft trotzdem. Er schreibt es für Frauen. Lassen Sie mal ruhig«, belehrt ihn die Büroleiterin.
»Aber das politische Feuilleton wird ihn schlachten für Sätze wie: ›Wenn sie sich bewegt, geschieht es ungeheuer bedacht. Sie hat die Grazie des Willens, nicht der Natur.‹ Ich bitte Sie!«
»Hören Sie, genau das brauchen wir jetzt. Wir werden der Bunten ein Interview geben, in dem sie gesteht, dass sie als Mädchen davon träumte, Eiskunstläuferin zu werden.«
»Nichts ist sie weniger, was soll das?«
»Wir werden sie als verletzlich, mitfühlend, menschlich inszenieren. Aber auch als die Frau, die um ihre Schwächen weiß. Wir brauchen etwas liebenswert Gebrechliches im Image der Übermächtigen, und das schreibt er uns perfekt auf.«
Was sie dem Regierungssprecher nicht verrät – sie hat eine geheime Imagestudie in Auftrag gegeben mit alarmierenden Ergebnissen. Ausgerechnet bei den Frauen verliert die Kanzlerin an Zuspruch. Die Frauen wenden sich zusehends den Grünen zu – aus emotionalen Gründen.
Zur Morgenlage am Freitag erscheint der Regierungssprecher bewusst ohne Krawatte. Es sei casual friday , ruft er seiner Sekretärin zu, als die ihn fragt, ob er wirklich so zur Sitzung gehen wolle. Er sucht immer noch die Nischen der inneren Distanzierung, fühlt sich wie ein Barde, ein Minnesänger der Macht, obwohl er genau weiß, dass kein Ton schief klingen darf. Eigentlich leidet er unter der streng formierten Welt abgewägter Worte, abgestimmter Sätze und behutsamen Nichtsagens. Darum freut er sich am Heute-mal-keine-Krawatte-tragen-Wagnis, das keines ist. Im Grunde seines Wesens fühlt er sich als Spieler, als Souverän über Ernst und Unernst, der dummerweise andauernd zum Zeugwart der Zeitgeschichte degradiert wird. Aber er liebt die Gravitation der Macht, diesen schweren Sog der Bedeutsamkeit, den Machtmenschen spüren wie andere einen
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