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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Weimer
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Temperatursturz.
    »Die Krönungsrede hat uns nicht ins Spiel zurückgebracht«, räsoniert der Generalsekretär in gespielt besorgtem Ton. »Beckenbauer präsidiert ohne uns. Dabei ist er noch nicht mal gewählt!«, sagt er mit einem Anflug von Pathos.
    »Und die Button-Nummer läuft auch nicht richtig«, schiebt die Büroleiterin hinterher. Nachdenklich schaut die Kanzlerin zu ihr hinüber. »Kein Mensch will die Dinger haben. WM-Stimmung ist noch nicht, dafür ist es zu früh. Die Bild -Zeitung macht auch nicht mehr mit.«
    »Also, was nun?«, fragt die Kanzlerin.
    »Ich hätte noch die Unterwäsche«, wagt sich der Regierungssprecher hervor.
    »Sind Sie wahnsinnig? Da können wir froh sein, dass die Kiste nicht nach hinten losgegangen ist«, rüffelt der Kanzleramtschef.
    »Das sehe ich anders, Herr Kollege. Hier bietet sich die Chance, die Kanzlerin als Frau der Einheit zu präsentieren.«
    »Und was hat das mit Fußball zu tun?«
    »Der Fußball heilt, was die Stasi verwundet hat. Deutschland wächst zusammen.«
    »Die Unterwäsche bleibt im Schrank der Geschichte!«, beendet die Kanzlerin die Diskussion. »Über die Politik werden wir nicht punkten können, Fußballfans hassen Politik. Im Stadion ticken die Menschen ganz anders.«
    Eine merkwürdige Formulierung – und eine merkwürdige Einsicht, grübelt der Generalsekretär. Ihm ist wie dem Fraktionschef ohnedies aufgefallen, dass die Kanzlerin seit einiger Zeit neue Perspektiven formuliert. Er ahnt, da sind neue Berater am Werk, er weiß nur noch nicht, wer. Der Regierungssprecher und die Büroleiterin wollen ihn weiter marginalisieren, vermutet er und wittert zugleich Intrige, seitdem die Kanzlerin weiß, was Abseits ist.
    »Abseits, Herr Kollege, im Rücken der gegnerischen Abwehr attackieren. Abseits, das müssten Sie doch kennen«, hatte sie ihm süffisant erklärt und dabei das Wort »Abseits« so langsam ausgesprochen, dass ihm die Doppeldeutigkeit klar werden sollte. Die Vokabel ist ohnedies das Trauma seiner Karriere, also beunruhigt sie ihn zutiefst. Er trifft sich mit dem Fraktionsvorsitzenden zum Mittagessen, zur Lagebesprechung der eigenen Karrieren.
    »Woher weiß sie plötzlich so viel über Fußball?«
    »Sie bereitet sich auf den WM-Wahlkampf vor.«
    »Ja, schon, aber mit wem?«
    »Wie, mit wem?«
    »Na, wer bereitet sie vor? Sie hat offenbar neue Berater um sich, die ihr einen Strategiewechsel für den Wahlkampf einflüstern.«
    »Die Strategie legen immer noch wir fest, das Kanzleramt soll sich um die Staatsgäste aus Togo kümmern.«
    »Ich sage Ihnen, da braut sich was zusammen. Der Fußballflüsterer bringt uns den ganzen Laden durcheinander.«
    »Gut, ich werde meine Maulwürfe im Kanzleramt kontaktieren und rausfinden, was da läuft.«
    »Und ich sorge dafür, dass der Landesverband NRW sich nach Ihnen als Parteichef sehnt.«
    »Das ist zu früh!«
    »Warum? Nach einem schlechten Wahlergebnis werden wir die Kanzlerschaft und die Parteiführung trennen können. Und nur Sie kommen dann als Parteichef infrage, die konservative Seele schreit nach Macht und Mann und Mut. Wenn die gute Frau aus dem Osten jetzt auch noch den Fußball vermasselt, dann …«
    »Lassen Sie es gut sein, so weit sind wir noch nicht. Erst finden wir mal heraus, was da überhaupt los ist. Ich melde mich.«
    »Also soll sie auch noch keine Fehler machen?«
    »Die heben wir uns auf.«
    Die Kanzlerin findet zusehends Spaß am Fußball, bei der Zeitungslektüre blättert sie immer häufiger zum Sportteil, auf ihr Handy hat sie sich eine Fußball-App gezogen, die ihr alle wichtigen Bundesliga-News realtime liefert, und sie beginnt, den Wahlkampf nach fußballerischen Terminen vorzusortieren. Wie immer schaut sie zuerst auf die Risiken. Beim Kalenderabgleich mit ihrer Büroleiterin wird ihr klar, dass ausgerechnet kurz vor dem Endspiel ein Afghanistan-Gipfel der Nato anberaumt ist.
    »Den müssen wir fortschaffen.«
    »Wie sollen wir das denn machen?«, gibt die Büroleiterin zurück, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
    Sie schweigen einen Moment, was im Kanzleramt ungewöhnlich ist und nur zwischen diesen beiden vorkommt. Im Aufstehen kommt der Büroleiterin der Gedanke:
    »Es ginge bestenfalls, wenn es nächste Woche einen Durchbruch gibt. Der Petersberg-Gipfel entscheidet über die weitere Roadmap, aber die Amerikaner spielen auf Zeit.«
    »Sie wollen uns länger drinhalten, aber alle Europäer wollen raus, und wenn wir nächste Woche einen Abzugsplan verkünden,

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