Heimspiel
kam und ein sentimentaler Vorstand das für einen Schicksalswink hielt, bekam er den Posten.
So kam er zurück, aber er kam mit einem Mercedes, wie ein Weingroßhändler. Denn der Petersberg ist das Beste, was der Landstrich zu bieten hat. Hoch über dem Rheintal thront er wie der letzte Mittelgebirgskönig vor dem molochigen Ruhrgebiet. Wer hier das Sagen hat, der hat etwas zu sagen. Hier feiert der Bürgermeister die höchsten Feste der Stadt, hier heiraten die reichsten Leute der Gegend, selbst die Kanzlerinnen und Könige treffen sich hier. Aus Washington und Moskau kommen die Politstars, obwohl Berlin das arme Bonn inzwischen so trostlos aussehen lässt wie eine einsame Witwe. Aber aus den USA reisen sie immer noch gern an, denn der Petersberg ist genauso, wie man sich das Rheintal-Nachkriegsdeutschland vorstellt. Und wenn man von den Hotelmauern herunterblickt, dann sieht man, was alle so fasziniert und Thomas so langweilt: ein Tal mit den letzten nördlichen Weinbergen. Der Zipfel zum Süden. Weinberge und immer mehr Weinberge. Er aber hat es geschafft, sich von ihnen zu befreien. Seine große, weite Welt hat er hier oben gefunden. Und wenn seine Mutter von ihrem kleinen Häuschen heraufschaut, dann ist sie stolz, wie eine Mutter es nur sein kann. Denn ihr Thomas ist dort oben der Herr. Und er hat die beste Trockenbeerenauslese in seinem Restaurant. Natürlich hat er das. Und die Kanzlerin duzt ihn.
Die Afghanistan-Konferenz wird eine Sternstunde der deutschen Diplomatie. So zumindest schwärmt die Süddeutsche Zeitung , denn es geht frontal gegen die Amerikaner. Die Kanzlerin versammelt die Europäer zur großen Friedensinitiative »Raus aus Afghanistan!«. Die Franzosen bringen den Begriff der »souveränen Euro-Lösung« in Umlauf, die Spanier verbreiten, man verhindere »Yankee-Politik am Hindukusch«. Griechenland verlangt für seine Zustimmung finanzielle Unterstützung von der deutschen Delegation und bekommt die Zusage für einen neuen Sozialkohäsionssonderfonds für Nachtwächter. Der schwedische Ministerpräsident raunt der Kanzlerin auf dem Gang zum großen Gipfelfoto zu:
»Ich werde Sie für den Friedensnobelpreis vorschlagen!«
Der französische Staatspräsident hört das, und seine Miene versteinert sich vor Eifersucht. Am Ende lachen aber alle wieder, als der italienische Ministerpräsident verkündet:
»Der Krieg ist gewonnen! Wir ziehen ab!«
Für die Amerikaner wird die Gipfelkonferenz zum Eklat, aber alle Europäer haben ihren Spaß daran. Bis auf die Briten.
»Ihr Deutschen könnt nur noch Rückzug«, faucht der britische Verteidigungsminister seinen deutschen Amtskollegen an.
»Das haben wir uns beim Empire abgeschaut«, gibt der zurück.
Die amerikanische Delegation ist düpiert, vor allem ist sie nicht informiert worden.
»Schlechter Stil«, ranzt der amerikanische Verteidigungsminister in die Mikrofone. In der Bar ätzt er über die »Kapitulationskanzlerin«, die Trockenbeerenauslese von Thomas wird nicht getrunken.
Die Journalisten sind begeistert. Von allen Seiten werden sie mit Bösartigkeiten gefüttert. Selten ist ein Gipfel so aus dem Ruder gelaufen. Und das ausgerechnet im spießigen Bonn. Die Amerikaner müssen am Ende mit den Briten akzeptieren, dass Europa den Abzug beschließt. In der Abschlusskonferenz erklärt die Kanzlerin, die Entscheidung sei »alternativlos« gewesen. Sie wird Titelheldin auf allen Nachrichtenmagazinen. Der Spiegel analysiert: »Noch immer wird sie unterschätzt. Aber das weiß sie und nutzt es als Überraschungsmoment. ›Das ist doch wohl der Gipfel‹, poltern die Angelsachsen. Und wie wahr: Dieser Gipfel ist ihr Gipfel.« Time zeigt auf dem Cover eine Kanzlerin in Bismarck-Pose und titelt: »The New Iron Chancellor«.
Der Regierungssprecher hat tagelang gute Dossiers zu präsentieren. Der französische Staatspräsident lässt sich mit dem Satz zitieren, seit Adenauer und de Gaulle seien beide Länder nicht mehr so kraftvoll regiert worden. Le Monde zeigt die Kanzlerin in der Pose von Jeanne d’Arc. Ein CNN-Reporter sendet live aus der Uckermark, stellt sich neben eine dicke Eiche und sagt mit vibrierendem Pathos: »Das ist sie, die deutsche Kraft.«
»Das war ein Befreiungsschlag, ein sauberer Konter«, resümiert die Kanzlerin zwei Wochen später die Entwicklung. Der Generalsekretär zuckt zusammen und sucht den Blick des Fraktionschefs.
»Haben Sie was rausbekommen?«
»Ja, die Kanzlerin war heimlich in Frankfurt. Mit einem
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