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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Weimer
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ein neuer Koalitionspartner ausprobiert werden. Aber der Wille zur Macht schwindet. Die Konzentration auf das Machbare auch. Die Kanzlerin wird nachlässig.
    »Ich mache mir Sorgen«, öffnet sie sich eines Abends der Kanzlerin.
    »Worüber?«
    »Über Ihr Interesse am Fußball.«
    »Das haben Sie mir doch angeordnet. Das Thema wird wahlentscheidend.«
    »Das meine ich nicht.«
    »Was denn?«
    »Ich meine Ihre Faszination am Fußball.«
    »Was ist daran schlecht?«
    »Es ist ein Spiel. Sie sind, was Sie sind, weil Sie Spiele nicht spielen. Ihre Macht ist die einer Schiedsrichterin. Sie standen immer über dem Spiel. Deswegen sorge ich mich.«
    »Dass ich plötzlich eine Spielerin werde?«
    »Nein, dass Sie unser Spiel der Macht aufgeben.«
    »Ach, kommen Sie, ich werde die Wahl gewinnen und eine schwarz-grüne Regierung bilden.«
    »Ja, aber es wird nur noch ein Spiel sein.«
    Die Kanzlerin legt ihre leicht geröteten Hände um die Teetasse, blickt zur Seite und lächelt so minimal, dass nicht einmal die Büroleiterin es merkt.
    Nach einer ziemlich langen Pause fragt die Kanzlerin:
    »Wissen Sie, was ich gestern Nacht gemacht habe?«
    »Ich hoffe, Sie haben den Milestone-Plan unserer Sozialministerin zur großen Arbeitsmarktreform gelesen.«
    »Meiner Nachfolgerin?«
    »Ihrer Möchtegern-Nachfolgerin, die sich gestern halbnackt auf einem weißen Schimmel in einer Mädchen-Kita hat fotografieren lassen.«
    »Ich habe mir die Aufzeichnung des letztwöchigen Klassikers Real gegen Barca angesehen.«
    »So was habe ich befürchtet.«
    »Wie Pedrito gespielt hat – unglaublich!«
    »Und da fragen Sie noch, warum ich mich sorge.«
    »Pedrito war klein, er hat zu viel gedribbelt, nicht gegrätscht, sondern getanzt. Seine Strümpfe sind schneeweiß geblieben, und er hat sogar darauf geachtet, dass sein Hemd nicht aus der Hose rutscht. Aber Pedrito hat den Ball so virtuos gestreichelt wie ein Pianist sein Klavier, und wo die anderen verbissen gekämpft haben, hat er beim Spiel gelächelt.«
    »Wissen Sie, was Ihr Biograf dazu schreiben würde?«
    »Na?«
    »Es war ein Lächeln, das den Unernst des Spiels entlarvte.«
    »Das ist gut, kann er das noch in die Biografie aufnehmen?«
    »Das werde ich zu verhindern wissen.«
    Am nächsten Tag ruft die Büroleiterin den Biografen an. Er kommt gerade von einer Moderation der Sparkasse Pforzheim zurück, wo auf einem Podium das Thema »Die Ethik des Journalismus als Kontrollinstanz der Macht« behandelt wurde.
    »Was kann ich Ihnen Gutes tun?«
    »Sie müssen nächste Woche fertig werden. Lassen Sie die Sozialministerin und den Fraktionschef nicht zu gut aussehen. Und drücken Sie am Ende noch eine Portion aus der Gefühlstube zum Thema Fußball rein.«
    »Wie soll ich das denn machen?«
    »Kennen Sie Pedrito vom FC Barcelona?«
    »Sie machen Scherze. Natürlich nicht!«
    »Dann erfinden Sie eine herzerweichende Geschichte von einem spanischen Fußballer.«
    »Wird gemacht.«
    Der Text in der Biografie wird ein Ferienerlebnis der Kanzlerin beschreiben, das ihre Liebe zum Fußball untermalen soll. Die Sache spielt in Málaga, denn das ist der einzige spanische Urlaubsort, in dem die Kanzlerin je gewesen ist.
    »Und mittendrin in dem andalusischen Bolzplatz-Getümmel sah sie den Spielmacher Ramón: schulbübisch, aber befehlsstark. Wie El Cid mit seinem Schwert an der Kulturgrenze stand er am gegnerischen Strafraum und dirigierte die anderen Zwerge. Er lächelte nicht, der Ernst seiner Augen trug die tiefe Würde Spaniens. Ramón war Ministrant in der Ortsgemeinde. Seine feierlichen Blicke auf den Hochaltar waren dieselben wie die auf das Fußballtor. In Málaga holte die Kanzlerin sich blauen Himmel und diesen Blick des heiligen Ernstes.«
    Der Biograf hat beim Formulieren wieder Rioja getrunken, und er weiß noch nicht, dass sie dabei ist, Ernst und Spiel zu vertauschen. Aber weil er gerade so gut in Schwung ist, schreibt er noch rasch eine Alternativgeschichte:
    »Als der Sand im August so heiß wurde, dass man barfuß kaum darauf laufen konnte, geschweige denn das Meer erreichen, da brauchte auch die Kanzlerin ein Paar Strandschlappen. Und die bekam sie von Manolo. Als Kind radelte der mit einem klappernden Fahrrad ohne Bremsen vom Strand Novo Sancti Petri ins Dorf und kaufte zehn Paare Gummischlappen für 200 Peseten pro Paar. Die 2000 hatte ihm sein Onkel geliehen, der war in Deutschland als Gastarbeiter bei Opel, galt also als reich. Und er mochte den wachen Manolo.
    Mit den

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