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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Weimer
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Erdnahes. Ich denke an unseren Arbeiterfotografen aus Hamburg. Der soll mal auf Natur machen.«
    Es kommt zu einem Besprechungstermin, der Arbeiterfotograf, der sein Geld jahrelang mit sozialen Betroffenheitsbildern für den Stern verdient hat, ist ein wenig aus der Mode, weil weder Soziales noch Betroffenheit mehr wirklich verkäuflich ist. Und Arbeiter gibt es auch nicht mehr. Nun aber hat er die perfekte Idee:
    »Wir setzen die Kanzlerin vor eine Eiche auf den Moosboden. Im Hintergrund ein uckermärkischer See, darauf ein blaues Ruderboot. Wir haben Verlässlichkeit, Bodenständigkeit, Naturliebe und Melancholie in einem Bild.«
    »Großartig! Und wir ziehen ihr eine wolkenweiße Hose mit himmelblauem Sakko an. Die Vereinigung mit der Natur muss subversiv vollendet sein.«
    »Macht sie so sentimental grün, wie ihr wollt, aber macht es kurz. Ihr bekommt nur eine Stunde ab Kanzleramt. Der Hubschrauber muss nach 60 Minuten aus der Uckermark zurück sein«, beendet die Büroleiterin den Termin.
    Das Foto wird in der Bild am Sonntag doppelseitig erscheinen. Die Redaktion retuschiert die Schmutzränder an ihrer weißen Hose auf dem Redaktionscomputer weg und hellt ihre düsteren Augen ganz stark auf. »Eine Hellseherin soll sie sein«, hatte der Chefredakteur dem Layouter befohlen. In dem Interview darunter erklärt die Kanzlerin den völlig überhasteten Atomausstieg als einen »Generationenvertrag mit der Nachhaltigkeit«. Der letzte Satz lautet: »Wir sind alle Kinder der Natur.«
    Nach diesem Wochenende ändert der Fraktionschef seine Strategie, der konservative Aufstand in der Partei bricht zusammen, ehe er begonnen hat. Er lädt stattdessen einen Kreis junger Abgeordneter der Grünen zu einem Pizzaabend. In seinen Talkshow-Auftritten achtet er darauf, keine Krawatte mehr zu tragen, ein Fotoshooting für die Apotheken-Umschau zeigt ihn eine Pusteblume pustend auf einer Wiese. In einem Interview mit der Bild am Sonntag gibt er zu Protokoll: »Das ›Greening‹ gehört zum Lifestyle wie Smoothies, Holzspielzeug und Bionade. Konservative und Ökologen treffen sich in ihrem Sparsamkeits-, Sicherheits- und Verlangsamungsreflex.«
    »Was soll das?«, fragt ihn der Generalsekretär. »Das Geschwätz über Nachhaltigkeit ist superschwul.«
    »Das stimmt, aber ich muss mich an die Spitze der Bewegung setzen. Es gibt doch keinen Kaffee, keine Bankbilanz und keine Fußcreme mehr, die nicht nachhaltig-natursanft-biologisch daherkommt. Alles ökologisiert sich, ich auch.«
    »Ach, und jetzt sind wir plötzlich für Schwarz-Grün?«
    »Ja, ich will im neuen Kabinett Finanzminister werden. Meine eigene Tochter will Grün wählen.«
    »Sie hätten besser Söhne zeugen sollen. So verspielen Sie Ihre Rolle als Gegenpart zur Kanzlerin.«
    »Vergessen Sie’s. Der Putsch ist abgeblasen.«
    »Gar nichts vergesse ich. Wir haben das Video aus Frankfurt, die Sache könnte sie immer noch zur Strecke bringen.«
    »Und dann?«
    »Dann übernehmen wir.«
    »Dann übernehmen wir die Opposition. Kein Ministerbüro, keine Dienstwagen, kein Staatsempfang, keine Sonderpension, keine Liebhaberin. Vergessen Sie’s.«
    »Zu spät!«
    »Wie, was, zu spät?«
    »Ich hab Sat.1 das Video zugespielt.«
    »Sie Idiot!«
    Im Kanzleramt ahnt man Ungemach. Die demonstrative Selbstgrünung des Fraktionsvorsitzenden irritiert den Apparat.
    »Der will die Kanzlerin auf ihrer Seite überholen«, diagnostiziert der Kanzleramtschef. Und er warnt seine Chefin vor Nachwahl-Intrigen in der Partei. »Es gärt«, sagt er im Ton eines Polizeichefs.
    »Wenn wir überhaupt gewinnen«, assistiert der Regierungssprecher. Er hält die freundliche Medienlage für »dünnes Eis«, die Stimmung hänge am Ende entscheidend von der WM und dem Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft ab.
    Die Kanzlerin lauscht den Mahnungen nur beiläufig. Sie beschäftigt sich mehr mit der Frage, warum Leverkusen immer Zweiter wird und Greuther Fürth nie aus der zweiten Liga aufsteigt. Netzer kommt inzwischen jeden Montag und diskutiert mit ihr lebhaft die Bundesliga-Ergebnisse des Wochenendes. Mittlerweile ist sie besser informiert als er.
    Eifersüchtig verfolgt das die Büroleiterin. Seit Jahren hat sie alles hier im Griff, die Fußballgeschichte nicht. Das macht sie unruhig. Sie ist eine sehr autonome Person. Die Büroleiterin spürt, dass der Kanzlerin die Macht entgleiten wird. Sie hat ein untrügliches Sensorium für Verluste. Die Wahl mag noch einmal gewonnen werden, zum dritten Mal

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