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Heimspiel

Heimspiel

Titel: Heimspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Weimer
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weiterzumachen. Aber sie fragt sich nicht lange und fährt dann fort. Schließlich sitzt sie heute im Kanzleramt und nicht in irgendeiner bayerischen Zirbelstube. Die Kanzlerin lässt sie nicht warten, sie lässt niemanden warten, Frauen schon gar nicht, am allerwenigsten sie. Die beiden kennen sich, ja, sie kennen einander besser, als sie wissen, denn sie sind einander ähnlich.
    Die Kanzlerin begrüßt sie herzlich und fragt, wie es um die Zeit stehe.
    »Na ja, die Altachtundsechziger sind anstrengend.«
    »Ich dachte, die seien schon entsorgt?«
    »Bei der Zeit sind alle immer da, auch wenn sie weg sind.«
    »Wie in meiner Partei.«
    Beide schmunzeln einvernehmlich. In dem Gespräch zeichnet die Kanzlerin eine lange Linie historischer Logik, die auf eine schwarz-grüne Zukunft hinführt.
    »Es ist die lange vektorielle Funktion von Wertefragen, die uns eint.«
    Die Journalistin frohlockt, die Formulierung wird sie übernehmen. Das Gespräch zwischen den beiden entwickelt sich wie ein Menuett-Tanz. Man zirkelt um Rituale. Sie lässt sich nicht aus der Reserve locken und spricht so kontrolliert, als sei sie ihr eigener Regierungssprecher. Das ärgert die Journalistin aber nicht wirklich. Sie findet und wird es hernach so beschreiben: »Verbindliche Unverbindlichkeit ist eine Kunst.«
    Nur zweimal huscht der Kanzlerin eine zweideutige Grimasse über das Gesicht, als die überragenden Umfragewerte der Sozialministerin mit ihren sinkenden verglichen werden. Es ist ein verzerrtes Lächeln, das man als mütterliche Herablassung der blonden Nymphe gegenüber lesen kann. Aber eben auch als eine gequälte Variante davon. Beiläufig lässt sie auf den Namen der Sozialministerin auch die anderer populärer Minister folgen. Sie weiß die Erbfolge-Bauern in Schach zu halten, indem diese gegeneinander austariert werden.
    »Aber sagen Sie mal – einige Auszüge Ihrer neuen Biografie durfte ich schon lesen. Die ist doch reichlich kitschig, finden Sie nicht auch?«
    »Ach, Sie wissen doch – Männer!«
    Und wieder schmunzeln sie freundinnenhaft. Dabei weiß die Kanzlerin nicht, dass die Zeit -Journalistin mit dem Biografen einmal etwas hatte – kurz und unschön, berlinerisch eben.
    Zum Abschied fragt die Kanzlerin:
    »Interessieren Sie sich für Fußball?«
    »Ein wenig schon«, gibt die Reporterin vorsichtig zurück.
    »Was finden Sie gut daran?«
    »Die völkerverständigende Wirkung. War die letzte WM in Afrika nicht wunderbar für den Kontinent?«
    »Doch, ganz wunderbar, Fußball ist wirklich ein Friedensprojekt.«
    »Vor allem für die Männer.«
    Sie sind sich einig.
    Ihr Artikel wird in dem Resümee gipfeln: »Die Kanzlerin hat sich von der Physikerin zu einer Meta-Physikerin der Macht entwickelt. Sie vollzieht die Kunst der Konfliktregelung inzwischen im vollen Bewusstsein, dass das Numinose der Macht die Veränderung meint. Ihr Charisma scheint immer noch so spiegelglatt wie ein uckermärkischer See. Ihre Gedankenschärfe und stoische Selbstkontrolle sind immer noch kühl-protestantisch. Wie eh und je antizipiert sie Gesprächsverläufe und Hintergedanken. Jedes Interview ist daher wie Blitzschach in Zeitlupe. Und doch spielt sie ihr Spiel jetzt mit weißen Figuren – immer von vorn.«
    In den Wochen nach Beckenbauers Nominierung kehrt ein Hauch von politischem Bewusstsein in die öffentliche Debatte zurück. Die Zeit und mit ihr das linke Presselager schreibt die Kanzlerin systematisch hoch. Die antiamerikanische Außenpolitik wird ihr insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendern als Erfolg gutgeschrieben, in der Sozial- und Familienpolitik entwaffnet sie die sozialdemokratische Opposition durch programmatische Raubkopien, die schwarz-grüne Vision fasziniert die vorstädtischen Zahnarzt- und Ingenieursfamilien, ihre Umfragewerte steigen zum Ärger der Konservativen in der eigenen Partei wieder an.
    »Wir brauchen noch ein ikonografisches Bild für unsere neue Positionierung«, fordert der Regierungssprecher.
    Die Büroleiterin belehrt ihn:
    »Unsere Französin hat schon einen Termin im Garten. Die Kanzlerin wird an Blumen riechen.«
    »Nein, das ist zu artifiziell, zu französisch.«
    Er mag die französische Hoffotografin nicht. Balletttänzerin war die zuvor. Er mag überhaupt die zunehmende Übermacht der Frauen im Kanzleramt nicht. Aber die Französin hält er obendrein für schuldig, schuldig am zwischenzeitlich als unecht empfundenen Bild der Kanzlerin.
    »Wir brauchen etwas viel Deutscheres,

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