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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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Dorfbrot, kein Winterbrot, kein dünnes Brot. Aber diese Brötchen schmecken ein wenig wie unser Brot, findest du nicht auch?
    – Dann bring doch demnächst von denen mit.
    – Bei mir gibt es die nicht.
    – Die muss es geben, das ist eine riesige Fabrik, sagt Fuat, du hast doch wieder keine Ahnung.
    – Eben, es ist eine Fabrik, Brötchen machen die Bäckereien, oder?
    – Es ist alles Quatsch, es gibt einfach kein gutes Brot hier, egal ob Bäckerei oder Fabrik.
    Fuat schieb seinen Teller von sich und zündet sich eine Zigarette an.
    – Die schmecken wenigstens besser als bei uns, sagt er. In der Fabrik suchen sie immer noch Leute, und da ist eine Frau, Saniye, die sucht Arbeit. Ich habe ihr Bescheid gesagt, sie wird morgen pünktlich an der Bushaltestelle sein. Ihr werdet euch schon erkennen. Nimm sie einfach mit.
    Gül sieht ihn an. Hätte er das nicht anders sagen können? Hätte er sie nicht fragen können, sie hätte ja nicht abgelehnt.
    Diese Saniye muss sich wenigstens keine Sorgen um den Weg machen.
    Das Arbeiten in der Fabrik fällt Gül nicht schwer. Wenn man erst mal den Weg gelernt hat, ist der Rest einfach. Auch wenn sie viele verschiedene Arbeiten erledigen muss, die ihr nur kurz gezeigt werden. Gül merkt, dass man zufrieden mit ihr ist. Abends dröhnt ihr nicht der Kopf, und sie verdient mehr als in der Näherei. Und das Wort Schweigeanteil geistert nicht länger in ihrem Kopf herum.
    Sie freut sich für diese Saniye, ohne sie je gesehen zu haben. |36| Am nächsten Morgen erkennt Gül Saniye sofort, obwohl sie sie sich ganz anders vorgestellt hat. Saniye hat rote Haare, ist etwas kleiner als Gül, aber wesentlich dünner. Nach Ceydas Geburt hat Gül nicht mehr abgenommen, sondern ist immer runder und voller geworden. Wenn Saniye auch so schlank ist, dass sie fast schon zerbrechlich wirkt, scheint ihr Becken breiter zu sein als Güls. Ihr Gesicht ist voller Sommersprossen, und etwas in ihrem Blick erregt Güls Aufmerksamkeit. Ihre Augen sehen aus, als sei sie traurig und zugleich trotzig, doch da lachen die Augen schon, und Gül fragt sich, ob sie sich vielleicht geirrt hat.
    – Danke, Schwester, sagt Saniye, danke, dass du mich mitnehmen möchtest. Auf dass ich dir nichts schuldig bleiben möge.
    – Wie lange bist du schon hier?, möchte Saniye im Bus wissen.
    – Noch nicht ganz vier Monate. Und du?
    – Ach, frag nicht, ich bin zwei Monate hier. Zuerst war ich in Hamburg, aber da hat es mir nicht gefallen. Ich hatte irgendwie immer Angst dort, vielleicht weil es am Meer liegt. Wie hast du dir Deutschland vorgestellt? So hier?
    Sie deutet zum Fenster hinaus.
    – Ich habe mir nicht viel vorgestellt. Ich dachte, es sei wie Istanbul, nur etwas moderner.
    – Und ich habe mir vorgestellt, es sei wie in den Filmen, weißt du, wo sie nach Hause kommen und sich mit den Schuhen aufs Bett schmeißen in ihren aufgeräumten großen Wohnungen. Frag nicht, wieso, aber ich wollte mit den Schuhen an den Füßen in die Wohnung und mich dann aufs Bett legen, eine Zigarette anzünden und die Hände hinter dem Kopf verschränken. So habe ich mir Deutschland vorgestellt. Und dann kommst du in ein Wohnheim, wo die Betten noch schlimmer sind als zu Hause, und man hat gar keine Lust mehr, die Schuhe anzulassen.
    |37| Saniye lacht, und Gül kann nicht sagen, ob es ein trauriges oder fröhliches Lachen sein soll.
    – Und du bist einfach so aus Hamburg hierher, weil du dort Angst hattest?
    – Ja. Und weil ich gehört habe, dass es hier auch Leute aus Malatya geben soll.
    – Und was hat dein Mann dazu gesagt? Saniye blickt aus dem Fenster und schüttelt den Kopf.
    – Ich habe keinen Mann, sagt sie. Gül fragt sich, was eine Frau hier allein zu suchen hat.
    – Woher aus Malatya kommst du denn? Saniye nennt den Namen eines Dorfes, der Gül nichts sagt.
     
    – Was machst du da?, fragt Saniye.
    – Ich stemple die Fahrkarte.
    – Aber die ist doch von heute morgen.
    – Ja. Und?
    Saniye lacht.
    – Wir brauchen eine neue Fahrkarte, wir können nicht mit derselben zurückfahren.
    – Aber dann muss ich jeden Tag doppelt so viel …, beginnt Gül, bevor ein Gefühl ihr sagt, dass Saniye recht hat. Ein Gefühl, das ihre Wangen heiß werden lässt.
    Saniye ist kürzer hier als sie, aber sie scheint sich besser auszukennen. Und sie scheint keine Angst zu haben.
    – Wo ist Hamburg?, fragt Gül Fuat abends, als dieser schon die Schuhe anzieht, um zur Arbeit zu gehen.
    – Hamburg, wie kommst du denn jetzt auf Hamburg?,

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