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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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Gül. Ein Wunder, dass er es nach Hause geschafft hat. Gott hat ihn geschützt.
    Sie hat auch überlegt, ihn einfach liegenzulassen, doch sie möchte nicht, dass die Nachbarn ihren Mann morgen früh so sehen. Sie rüttelt Fuat, der nun zwar Geräusche von sich gibt, aber nicht aufwacht.
    – Soll ich Ceren holen? Gül schüttelt den Kopf.
    – Sie ist noch nicht stark genug, uns zu helfen.
    Dass sie der Kraft ihrer mittlerweile zwölfjährigen Tochter vertraut, macht Ceyda stolz. Gleichzeitig nimmt Ceyda sich in dieser Nacht vor: Egal, was passiert, ich werde keinen Mann heiraten, der trinkt.
    – Die Treppen hoch?, sagt Ceyda. Das schaffen wir nie.
    – Nur ins Wohnzimmer, auf die Couch, sagt Gül, während Fuat versucht, ihre Hand abzuschütteln, und etwas brabbelt, das Worte sein könnten.
    Gül verflucht ihre Pfunde, als sie ihren Mann unter den |107| Achseln packt und aus dem Auto zieht, sie verflucht Teigwaren und Baklava, während Ceyda die Füße ihres Vaters hält.
    Ich würde ja weniger essen, sagt sich Gül, aber wofür? Um attraktiver zu sein für einen Mann, den ich dann leichter aus dem Auto hieven kann?
    Nachdem sie Fuat auf das Sofa verfrachtet haben, schickt sie Ceyda wieder ins Bett, zieht ihrem Mann Schuhe und Hose aus, legt eine Decke über ihn und ein Kissen unter seinen Kopf.
    Dann setzt sie sich in die Küche, zündet sich noch eine Zigarette an und denkt an jenen Tag zurück, an dem sie so viel Schokolade gegessen und zum ersten Mal Alkohol getrunken hatte. Sie hatte sich übergeben müssen, und seitdem mag sie weder Schokolade noch den Geschmack von Likör, und bei Schnäpsen widert sie schon der Geruch an.
    Diesem Mann wird schlecht, er setzt sein Leben aufs Spiel, er liegt am nächsten Tag krank im Bett, aber er trinkt wieder und wieder, wie kommt das?
    Es ist ja nicht die Sehnsucht, die er in der Türkei hatte, diese seltsame Sehnsucht nach Getränken, die er nur aus dem Kino kannte. Diese Sehnsucht müsste längst gestillt sein.
    Es ist nicht das Feuer der Jugend, das noch heller brennen möchte mit Alkohol, der Mann ist über dreißig, bald hat er die Hälfte des Wegs hinter sich, wie es heißt.
    Auch Güls Vater soll viel getrunken haben, solange er noch jung war, gebechert und gezecht und alle in Angst versetzt mit seinen Bärenkräften. Er soll so geladen gewesen sein, dass er sich kaum mehr auf dem Pferd halten konnte, und selbst in so einem Zustand soll er noch Gegner gefunden haben, die er zu Boden warf, weil er einen Kampf im Stehen verloren hätte.
    Sein Pferd soll einmal sein Erbrochenes gefressen und dann den Weg nach Hause nicht mehr gefunden haben. Das erzählt |108| man sich, doch das war angeblich das einzige Mal, dass der Schmied am Straßenrand geschlafen hat.
    Aus Timur ist ein respektabler Mann geworden und ein guter Vater. Herr, gib, dass auch Fuat nicht immer auf den Pfaden des Alkohols wandelt, Herr, gib, dass auch er lernt, sich zu mäßigen.
    Güls Gebete werden erhört werden, doch zu einem Zeitpunkt, da sie alle Dringlichkeit verloren haben.
    Als Ceyda die Strickjacke auszieht, ohne das Licht angemacht zu haben, fragt Ceren:
    – Wo warst du?
    – Papa war sehr müde und ist im Auto eingeschlafen, und Mama und ich haben ihn reingetragen.
    – Warum habt ihr mir nicht Bescheid gesagt, ich hätte euch geholfen.
    – Nächstes Mal, sagt Ceyda, ohne zu ahnen, dass es noch einige nächste Male geben wird und dass sie häufig zu dritt den schlaffen Körper ihres Vaters ins Haus tragen werden.
     
    – Schönen guten Morgen, grüßt Serter, der durch die Hintertür einfach in die Küche gekommen ist.
    Mittlerweile wohnt er in einem kleinen Apartment, und es heißt, er lässt niemanden herein. Die Menschen, die ihn besuchen wollen, beschuldigt er, spionieren zu wollen, er glaubt, dass einige seiner Bekannten mit dem CIA zusammenarbeiten oder mit dem MIT, dass sie ihn beklauen, vergiften, verleumden wollen. Auf der Arbeit hat er zwei Schlösser an seinem Spind, und er wäscht sich an die zwanzig Mal am Tag die Hände. Alle nennen ihn nur noch
den Verrückten
. Der Verrückte verbraucht drei Stücke Seife die Woche, der Verrückte glaubt, auf der Arbeit seien Kameras installiert, um sie zu überwachen, der Verrückte traut nicht mal Gott, obwohl er dessen Stimme hin und wieder hört.
    Doch er verrichtet seine Arbeit wie jeder andere, er bekommt |109| Lohn, kauft Essen in Dosen oder Gläsern, nur Knoblauch, der inzwischen verbreiteter ist, kauft er knollenweise. Knoblauch

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