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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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kann man nicht vergiften, behauptet er, und manche schrecken vor seinem Atem zurück.
    Er geht ins Kino, trifft sich mit Landsleuten, die sich von seinen Spinnereien belustigt fühlen, er trinkt hin und wieder, spielt Karten und geht alle vierzehn Tage zu einer Prostituierten, die den kauzigen Mann gerne mag, obwohl er nie richtig entspannen kann. Doch er ist sauber, großzügig, höflich und nie grob zu ihr.
    – Ist Fuat schon wach?, fragt er nun, während Gül Auberginen schneidet. Sie unterbricht ihre Arbeit nicht, da Serter sowieso niemandem die Hand gibt.
    – Nein, sagt Gül, er schläft noch.
    Vor etwa zwei Stunden ist Fuat aufgewacht und auf die Toilette gegangen. Ohne Gül weiter Beachtung zu schenken, ist er dann die Treppe hochgestiegen und hat sich wieder ins Bett gelegt.
    – Dann komme ich später wieder, sagt Serter.
    – Möge es etwas Gutes sein. Was ist los? Kann ich dir helfen?
    – Ach, nichts, Schwester, sagt er. Nur Kleinigkeiten, ich komme einfach später wieder. Nur Kleinigkeiten.
    – Möchtest du dich vielleicht einen Moment setzen und warten? Hast du Hunger, möchtest du etwas essen?, fragt Gül aus Gewohnheit, und noch während sie spricht, denkt sie, dass sie die Frage nicht hätte stellen dürfen. Doch Serter scheint zu überlegen.
    – Die Teigpasteten da, hast du die gemacht?, fragt er.
    – Ja.
    – Ganz allein?
    – Ja, lügt Gül. Ceyda hat ihr ein wenig geholfen.
    – Dann will ich mal eine essen, sagt Serter. Ich werde schon nicht davon sterben.
    |110| Gerne würde Gül glauben, dass er einen Witz gemacht hat. Doch irgendwie fühlt sie sich geehrt, als Serter auch die zweite Pastete nicht ablehnt.
    – Diese Deutschen, sagt er kauend, ihr müsst euch in Acht nehmen vor diesen Deutschen. Diese Sache wird nicht gut enden.
    – Wieso?, fragt Gül, ohne zu verstehen, was
diese Sache
sein soll.
    – Die mögen euch nicht, die Deutschen.
    – Nur uns? Und was ist mit dir?
    – Mich hat meine Frau rausgeworfen. Ich wohne nicht hier in der Straße, und ich habe auch sonst niemanden. Vor mir haben sie keine Angst. Aber vor euch. Weil ihr zusammenhaltet. Mein Vermieter ist gestorben, sagt er, ich wohne ja direkt unter ihm, ein gutmütiger alter Mann, Gott hab ihn selig. Ich war auf seiner Beerdigung, eine deutsche Beerdigung mit Frauen und Kreuz und allem. Und da war eine alte Frau, die sah meinem Vermieter ähnlich, und ich habe gefragt, wer das ist. Es war die Schwester. Fast vier Jahre wohne ich nun schon dort, und noch kein einziges Mal habe ich diese Schwester dort gesehen. Seine leibliche Schwester. Die Deutschen sehen sich auf Beerdigungen oder zu Weihnachten vielleicht. Die halten nicht zusammen. Und deswegen haben sie Angst vor euch, weil ihr zusammenhaltet, weil ihr stark seid. Und weil sie Angst haben, mögen sie euch nicht.
    Ich habe niemanden, ich muss vor allen Angst haben. Meine eigene Frau wollte mich vergiften. Nur weil ich manchmal Gottes Stimme höre. Ihr müsst euch in Acht nehmen vor diesen Deutschen. Du wirst dich noch an meine Worte erinnern. Sie werden sagen, dass ihr nicht in dieses Land gehört, dass ihr Moslems seid, dass die Familie zu viel über den Einzelnen bestimmen darf. Sie werden versuchen, euch zu sprengen, sie werden versuchen, euch die Sprache zu nehmen, die Einheit, den Stolz. Nur noch zwei, drei Jahre, dann werde ich heimkehren, |111| weil es hier nicht mehr auszuhalten sein wird. Sie schmieden schon Pläne, glaub mir.
    Die ganze Zeit hat er mit vollem Mund geredet. Jetzt streckt er die Hand aus und nimmt sich eine dritte Pastete.
    – Die sind gut geworden. Und so eine Frau wie du, die würde mich nicht vergiften.
    – Niemand möchte dich vergiften, würde Gül gerne sagen, doch Serter wohnt nicht nur in einem Einzimmerapartment, auch der Raum in seinem Kopf ist nicht viel größer und hat zudem kein Fenster, da können sich die Gedanken immer nur in eine Richtung bewegen.
    – Du hörst Gottes Stimme?, fragt Gül stattdessen.
    Sie glaubt an Gott, ohne jeden Zweifel, sie weiß, dass er ihr Zeichen schickt und sie nicht im Stich lässt.
    Nein, sie glaubt nicht ohne Zweifel, das sagt sich nur so leicht. Manchmal fühlt sie sich verloren, allein, ohne Halt, nicht mal im Glauben. Doch so sind die Geschöpfe des Herrn, denkt sie dann, das liegt in unserer Natur. Wenn man die Stimme Gottes hören könnte, würde man Frieden finden, oder würde man verrückt werden?
    Serter kaut und nickt.
    – Du hörst sie?, fragt Gül noch mal.
    – Hm.
    – Und was

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