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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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nein, nein, die Deutschen verstehen nichts von Gastfreundschaft.
    – Wenn ich dann komme, werdet ihr mich in euer Besucherzimmer bitten?
    – Wenn du möchtest, natürlich, aber eigentlich ist es nicht für die Familie.
    Der Schmied hat derartige Zimmer schon häufig gesehen, meist bei Leuten in Istanbul oder Ankara oder den Reichen seiner Stadt.
    – Nicht für die Familie, ja. Sondern für Leute, vor denen man unbedingt protzen möchte.
    Timur wendet sich ab und geht Richtung Ausgang. Fuat folgt ihm, den Kopf gesenkt. Er versucht zu verstehen, warum der Schmied auf einmal so redet wie Yılmaz, dabei gibt es überhaupt keine Universität hier. Diese linken Gedanken machen selbst vor dem Vater seiner Frau nicht halt. Das ganze Land ist in Aufruhr, und Fuat hat kein Vertrauen in die Lage. In Deutschland gibt es auch Linke, nicht zu wenige, die Terroristen unter ihnen verursachen sogar Angst und Schrecken, aber der Staat ist stark, der wird schon fertigwerden mit denen. Da sitzen keine Männer an der Macht, deren Ziel es ist, sich Villen und Yachten zu sichern, in Deutschland sind Politiker ehrbare Menschen mit Moral.
     
    |135| Später erzählt Timur seiner Tochter von der Besichtigung des Hauses und wie modern er es findet und wie solide es wirkt, vertrauenerweckend und sicher.
    – Ach, wenn es nur ein Heim für euch sein könnte, sagt er.
    – Wieso sollte es das nicht werden?, möchte Gül wissen.
    – Dein Mann wirkt nicht so, als hätte er vor, zurückzukommen. Sobald er den Mund aufmacht, fallen ihm Vorwände ein, um dortzubleiben.
    Der Schmied winkt ab, als Gül widersprechen möchte.
    – So ist die Welt nun, sagt er, die Menschen bewegen sich immer schneller, aber das macht nichts, weil die Wege immer länger werden. Acht Enkel habe ich mittlerweile. Ich habe meinen Großvater noch jeden Tag gesehen, heute sehe ich den Nachrichtensprecher jeden Tag, bald wird in jedem Haus ein Fernseher sein. Weißt du noch, wie es früher war? Als wir das einzige Radio in der Straße hatten? Die Stimmen haben uns die Welt nähergebracht, aber ohne uns voneinander zu entfernen. Jetzt versteht man gar nichts mehr, die Welt wird größer und kleiner zugleich, und jeder versucht, einen Zipfel zu erhaschen. Und Fuat sieht euren Zipfel dort drüben. So schnell kommt ihr nicht zurück.
    Gül sieht, wie die Augen ihres Vater glänzen, und sagt:
    – Wenn er nicht kommt, dann komme ich, sorge dich nicht.
    Wenn man nur wüsste, welche Versprechen man halten wird und welche nicht.
     
    Fuat schiebt den Wagen, Gül ruft den Kindern zu, was sie holen sollen, und nimmt selber Dosen, Kartons und Gläser aus den Regalen. Es ist jeden Samstag das Gleiche. Obwohl Fuat so früh wie möglich aufsteht, egal, welche Schicht er hatte, egal, wie viel er abends getrunken hat, egal, wie sehr sein Kopf zu zerspringen droht, nie schaffen sie es, so früh loszufahren, dass es am Ende keine Eile gibt.
    Samstags ist der wöchentliche Großeinkauf, es geht zum Supermarkt, |136| zum türkischen Metzger und Gemüsehändler, wo es mittlerweile fast alles gibt, Auberginen, Knoblauch, Wassermelonen, die nicht in Scheiben geschnitten sind, Weizengrütze, Kreuzkümmel, Pinienkerne, Zitronensäure, Okraschoten, Paprikamark, Schafskäse, türkischen Honig. Doch das kann Gül auch unter der Woche alleine kaufen. Im Supermarkt gibt es Cola und Limonade, Nudeln, Mehl, Reis, Whisky, Toilettenpapier, Waschpulver, Spülmittel, Frischkäse, Nussaufstrich, Unterwäsche, Socken. Ceyda und Ceren dürfen sich Bücher aus der Spielzeugabteilung aussuchen und manchmal auch Spielsachen. Während Ceyda lieber Kriminalgeschichten hat mit mordenden alten Damen, furchterregenden grobschlächtigen Männern und unscheinbaren, aber klugen jugendlichen Detektiven, liest Ceren Geschichten, die sich um junge Mädchen und ihre Träume drehen, um Welten voller Pferde und Fluchten, von denen sie glaubt, dass sie allen deutschen Mädchen offenstehen. Gerne lässt sie Ceyda den Vortritt, um Bücher auszusuchen, denn Gesine hat zu Hause fast ein Regal voll davon, und am schönsten findet es Ceren, ein Buch zu lesen, sobald Gesine es ausgelesen hat, und nicht nur sich selbst, sondern auch Gesine zwischen die Seiten zu träumen.
    Es werden Kekse gekauft, Süßigkeiten, Knabberzeug, Gewürzmischungen, Paniermehl, Sahne, Zucker, Güls Zettel ist lang und der Einkaufswagen mehr als voll, wenn sie an der Kasse stehen. Fuat ist mal mehr, mal weniger gereizt, aber ungeduldig sind sie alle. Die

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