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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Oezdogan
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Cousine von Timurs Vater. Einige Jahre nach euch ist Aysel nach Deutschland gegangen. Auch sie ist für immer zurückgekehrt, sie war mit Medet verheiratet, dem Sohn des Krämers.
    Die Art, wie er das
war
betont und Aysel dabei einen Blick zuwirft, gefällt Gül nicht, doch sie tut so, als hätte sie es nicht bemerkt.
    Aus einigen an diesem Tag im Laden gewechselten Worten wird beim nächsten Zusammentreffen ein Plausch auf der Straße, und bald darauf sitzen Aysel und Gül zusammen auf dem Sofa und trinken Tee.
    Gül vermutet, dass Aysels Haare unter dem Kopftuch so tiefschwarz sind wie ihre Augenbrauen. Sie hat ein rundliches Gesicht, doch ihr Körper wirkt eher knochig, und selbst die weichen Wangen können nicht von den harten Falten um Stirn und Mundwinkel ablenken.
    – Als wir nach Deutschland kamen, haben wir in den Weinbergen gearbeitet, sagt sie. Abends sind uns die Augen zugefallen, noch während wir die Haustür aufgeschlossen haben, ich dachte damals, wenn wir ein, zwei Jahre so arbeiten sollen, dann sind wir verbraucht, erledigt.
    |224| – Weinberge? Gül versucht ihr Bild von Deutschland mit Weinbergen in Einklang zu bringen. Wo sollen denn da Weinberge sein?
    – Weinberge, bestätigt Aysel, ohne weiter darauf einzugehen. Von ihrem Bedürfnis, Gül ihre Geschichte zu erzählen, lässt sie sich nicht von solchen Zwischenfragen ablenken.
    – Medet hat mich damals schon geschlagen, ich war regelmäßig grün und blau am ganzen Körper, dass ich schon gar nicht mehr wusste, wo es nicht weh tat. Fünf Fehlgeburten hatte ich in all den Jahren, weil er mich immer so geprügelt hat. Der muss mit dem Teufel im Bunde gewesen sein, dass er nach der Arbeit noch so viel Kraft hatte. Nach einem Jahr sind wir umgezogen, und Medet hat in einer Fabrik gearbeitet, die Farben herstellte, und ich habe geputzt. Er wollte ja unbedingt Kinder haben, aber wie soll das gehen, wenn man der Frau so in den Unterleib tritt. Er hat mich beschuldigt, ich wäre unfruchtbar, und mich beschimpft. Wären die Nachbarn Deutsche gewesen, sie hätten sicherlich die Polizei gerufen. Ich weiß nicht, was dieser Mann hatte, woher diese Wut in ihm kam, was er nicht verdauen konnte, aber nachdem er mir nicht nur die Nase, sondern später auch noch den Arm gebrochen hat, habe ich mich entschlossen, ihn zu verlassen. Was hat mich denn bei diesem Tier gehalten, diesem Handlanger des Bösen?
    Gül erinnert sich an die Schmerzen, als ihre Nase gebrochen war, damals als Kind. Wie der Arzt mit einem Ruck den Knochen wieder gerichtet hatte, ein Ruck, der durch ihren Körper gegangen war, als wollte der Schmerz ihn ganz für sich haben.
    – Es gab keinen Grund, zu bleiben. Heim und Herd soll man nicht verlassen, sagen sie immer, doch zum Glück gab es ja keine Kinder, und ein Heim war es auch nicht, sondern eher ein Boxring, nur dass ich nie zurückgeschlagen habe.
    Aysel sieht Gül an, und das, was ihre Lippen andeuten, |225| könnte ein Lächeln sein, aber in ihren Augen ist etwas anderes, vielleicht Hoffnung oder Erleichterung, vielleicht auch Erstaunen darüber, dass sie so lange geblieben ist. Vielleicht auch alles zusammen.
    – Wir kennen uns nicht, sagt Aysel, aber ich vertraue dir, kein Mensch weiß, warum. Ich habe mich scheiden lassen. Aber ist danach alles besser geworden? Medet hat ein paar Leute kennengelernt und wollte schnell reich werden, und sie haben ihn mit Drogen erwischt, und nun sitzt er im Gefängnis. Ich bekam keinen Unterhalt, und dann saß ich da in Gottes Hölle, in diesem Deutschland, allein, ohne richtige Arbeit. Was sollte ich denn machen? Die ganze Zeit nur Sozialamt?
    Das Wort sagt sie auf Deutsch,
Sozialamt
, sie könnte es nicht übersetzen.
    – Was hatte ich überhaupt in diesem Land verloren? Ich wollte nie dorthin, es war Medets Idee. Ich dachte, ich tue das Beste, wenn ich zurückkehre, hierhin, wo ich aufgewachsen bin.
    Meine Eltern sind alt, sie haben selber kaum genug zum Leben. Ach, Gül, es ist manchmal so schwer, auch nur das tägliche Brot zusammenzukriegen, in Deutschland hätte ich Sozialhilfe gehabt. Ich dachte, hier wären wenigstens die Menschen wärmer, hilfsbereiter, freundlicher. Aber weißt du, wie die Männer hier eine geschiedene Frau betrachten? Wie Freiwild. Hast du bemerkt, wie dieser eklige Hayri mich anglotzt? Er tätschelt sogar meinen Hintern, ich habe ja keinen Mann, der ihn zur Rechenschaft ziehen könnte. Nicht mal einen Bruder habe ich hier, und mein Vater ist zu alt. Ich dachte, es

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