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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Phantasie zu?«
    »Klar.«
    »Bilde ich mir dann etwa deiner Ansicht nach nur ein, dass du mit
mir sprichst?«
    »Das ist eine Definitionsfrage«, sagte sie und hörte auf, sich hin
und her zu wälzen. »Wenn du mich wirklich hörst, dann arbeitet dein Gehirn,
ohne Gehirn würdest du mich nicht hören, wenn du nur denkst, du würdest mich
hören, dann arbeitet es ebenso. Falls es einen Unterschied gäbe, dann nur in
deinem Ohr. Mechanisch. Die Membran bewegt sich. Dein Trommelfell. Bei unserer
speziellen Art der Unterhaltung ist aber dein Ohr nicht beteiligt – ich rede
mit dir direkt in deinen Kopf rein, also gibt es keinen Unterschied zwischen
Einbildung und Ereignis.«
    »Du kannst meinen Artikel schreiben«, sagte ich, »vielleicht zeig
ich dir einfach die Tasten auf dem Computer.«
    Jetzt lächelte sie. Ich wusste es einfach. Auch wenn ihr Gesicht
aussah wie immer, als sie sagte: »Ich kann dir ja diktieren.«
    Ich sah sie nur an. Sie hatte wieder mal das letzte Wort.
    »Wir Katzen sind Musen, das weißt du doch«, sagte sie.
     
    ˜
     
    »Das ist Johannes.« Frau Seelig nahm mir den Blumenstrauß
ab, während ich das Papier zerknüllte, und deutete auf einen Mann, der mit
ausgestreckter Hand und einem Lächeln im Gesicht aus dem Wohnzimmer auf mich
zukam.
    »Hallo«, sagte er, »freu mich«, und forderte mit einer Handbewegung
das zerknüllte Papier von mir. Ich gab es ihm, und er warf es aus dem Flur in
die Küche – ich konnte die Flugbahn nicht bis zum Ende einsehen, aber seinem
Gesicht nach zu urteilen war die Aktion nicht zufriedenstellend ausgefallen.
Carmens hochgezogenen Augenbrauen nach auch nicht. Er ging dem Fehlwurf
hinterher und korrigierte, ich sah, dass er sich bückte und hörte ein Rascheln.
»Versuchen muss man’s«, sagte er mit einem Schulterzucken.
    »Wenn man sich vor Publikum blamieren will«, sagte seine Frau.
    »Falls es lässliche Blamagen gibt«, mischte ich mich ein, »dann
gehört ein Papierknäuelfehlwurf dazu.«
    »Gibt es aber nicht«, sagte Frau Seelig, »nur lässliche Sünden.«
    »Das war aber definitiv keine«, sagte ich, und er bedankte sich bei
mir für die Unterstützung.
    Inzwischen waren wir im Wohnzimmer, und ich wurde mit einer Geste
eingeladen, mich aufs Sofa zu setzen.
    »Wenn das jetzt hier auf eine
Zwei-Männer-gegen-eine-Frau-Veranstaltung rausläuft«, drohte Frau Seelig, »dann
seh ich schwarz für meine gute Laune.«
    »Ich wechsle die Seiten«, versprach ich.
    »Gut.« Sie lächelte mich an.
    »Feigling«, murmelte er und lächelte mich ebenfalls an.
    »Ich stell mal die Blumen ins Wasser.« Sie ging in die Küche.
    »Und ich hol uns was zu trinken, Rotwein?«
    »Gern.«
    Er ging ebenfalls in die Küche, und ich war allein und konnte mir in
Ruhe den Raum ansehen. Rötliche Holztöne, blau-anthrazit und blassrot die
Stoffe, ein Flügel, ein Fernseher, ein Regal mit CD s und Büchern und
überall verteilt, auf den Fensterbrettern, dem Flügel, dem Regal und einem
Sideboard Katzenfiguren in allen Materialien, Macharten, Größen und Stilen.
Porzellan, Holz, Bronze, Plastik, Plüsch, Jade, Speckstein, die meisten waren
kitschig, manche zumindest süßlich, aber einige auch sehr schön. Die Replik einer
ägyptischen Skulptur stand da, ein Pärchen aus Jade und vier mit Streifen,
Tupfen und Flecken bemalte aus Holz, die auf einer Bank saßen und Angeln in den
Pfoten hielten und ein bisschen debil dreinschauten.
    Johannes war zurück mit einer Flasche, einem Korkenzieher und drei
Gläsern in den Händen.
    »Falls Sie Geschmack haben, dann sind die Viecher eine
Herausforderung«, sagte er.
    »Kennen Sie jemanden ohne Geschmack, der das zugeben würde?
    »Sie weichen aus.« Er grinste breit und klappte den Korkenzieher auf.
Die Gläser hatte er inzwischen abgestellt.
    »Stimmt«, sagte ich und grinste auch.
    Er deutete auf die vier mit den Angeln auf der Bank. »Die heißen
übrigens Günther.«
    »Alle vier?«
    »Alle vier, ja.«
    »Hallo Günther«, sagte ich, und er ritzte die Kapsel auf, pulte sie
ab, legte sie auf den Flügel und bohrte den Korkenzieher vorsichtig in den
Korken.
    »Ich finde Katzen toll, habe aber leider eine Allergie. Carmen
bringt mir einfach jede Katze mit, die sie irgendwo sieht, und weil es Liebesgeschenke
sind, ist es völlig egal, ob sie schön sind oder hässlich, Kitsch oder Kunst,
es reicht, wenn sie erkennbar als Katze gemeint waren.«
    »Er wollte schon als Kind eine haben und durfte nicht. Sie müssten
seinen Blick sehen, wenn

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