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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Der-das-Buch-abgeschrieben-hat. Klang ein bisschen nach Indianer.
     
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    Ich war nur kurz in der Küche gewesen, um mir eine neue
Tasse Tee zu holen, und als ich zurückkam, war Isso verschwunden. Mir wurde
auch gleich klar, weshalb, denn ich hörte von draußen die Stimme von Frau
Seelig: »Sind Sie da?«
    »Ja«, rief ich und ging raus. »Kleine Raucheinlage?«
    »Nein«, sagte sie und hob die Arme – sie hatte in jeder Hand eine
kleine Plastiktüte. »Radieschen und Tomaten und eine halbmickrige Gurke.«
    »Für mich?«
    »Ja. Jetzt herrscht im Garten der reine Überfluss. Sie müssen mir
helfen mit Aufessen.«
    »Gern. Danke.« Ich stellte meine Teetasse auf den Boden und nahm die
Tüten entgegen. Die Tomaten rochen gut. Bei Radieschen und Gurke ist es egal,
wie sie riechen, aber Tomaten verraten ihren Geschmack schon der Nase.
    »Sie rauchen nicht, Sie trinken Tee, soll ich vielleicht morgen
Abend was Vegetarisches kochen?«
    »Das wäre sehr nett«, sagte ich, »Sie sind scharfsinnig.«
    »Nein, das sind ja nur Klischees. Aber manchmal klappt’s doch damit.
Dass Sie Wein trinken, ist allerdings ein Ausreißer, das passt nicht so ganz
perfekt.«
    »Da bin ich ja beruhigt«, sagte ich, »wer will schon ohne Geheimnis
sein.«
    »Oh, das wollte ich damit nicht andeuten. Sie sind ein Mann mit
Geheimnis. Sicher mit nicht nur einem.«
    »Das könnte stimmen.«
    Sie sah mich einen Moment lang mit einem prüfenden Blick an, dann
lächelte sie. »Ich will Ihnen nicht auf die Nerven gehen.«
    »Das tun Sie nicht. Ich hoffe, Sie haben bald wieder Lust auf eine
verstohlene Zigarette.«
    Sie lächelte breiter. Dann winkte sie und ging zurück zu ihrem
Garten. Das nahm ich jedenfalls an.
     
    ˜
     
    Diese Frau hatte ein freundliches Wesen. Und sie war so
unverdruckst und geradeaus, wie ich es nur ganz selten erlebt hatte. Und
eigentlich nur bei älteren großbürgerlichen oder adligen Damen. Normale
Menschen sind nicht so. Sie kontrollieren sich, ihr Äußeres, ihre Gebärden, sie
sind kokett oder blasiert oder haben sich eine Art von Undurchdringlichkeit
draufgeschafft, die sie unverletzlich machen soll, man begegnet normalerweise
einem Bündel angelernter Gesten und Gesichtsausdrücke, einer künstlichen
Kontur, einem Ebenbild von irgendwem. Menschen, die einfach sie selber sind,
ohne daran groß herumgeschnitzt zu haben, sind selten. Frau Seelig war so.
Katzen sind auch so. Souverän und authentisch. Ihr Charme gründet sich auf ihre
Natürlichkeit. Ich sollte Isso und Carmen Seelig miteinander bekannt machen,
dachte ich, die würden sich mögen. Aber Isso flitzte beim ersten Geräusch. Sie
benahm sich, als wäre sie meine Affäre.
    Ich war seltsamerweise froh über meine Tränen in der Badewanne,
fühlte mich erleichtert und irgendwie aufgefrischt. Und ich war froh, dass nur
Isso das gesehen hatte. Um eine Katze zu weinen ist für Menschen lächerlich
oder gar empörend. Jedenfalls für die meisten. Sie halten es für eine Art Sünde
oder Verfehlung, ein Tier so sehr zu lieben wie einen Menschen, als entzöge man
gleichzeitig einem berechtigten Menschen diese Liebe, die man dann unrechtmäßig
einem Tier zuteilwerden lässt. Dabei ist Liebe nichts, was mit irgendwelchen
Rechten zu tun hat.
    »Wo warst du denn?«, fragte ich, als Isso auf einmal an mir
vorbeispazierte und ihren alten Platz auf dem Sofa wieder einnahm.
    »Unsichtbar«, sagte sie.
    »Oh, klar«, sagte ich, »hätte ich nicht besser ausdrücken können.«
    »Verarschst du mich?«
    »Ich versuch’s.«
    »Üb weiter.«
    Schade, dass Katzen kein Mienenspiel haben, sie zeigen ihre Gefühle
mit Gebärden und Körperhaltung. Ich war mir sicher, sie grinste, aber ich sah
es nicht.
    »Ist Schlagfertigkeit ein Katzensport?«, fragte ich. »Hast du das
trainiert?«
    »Ich rede doch nur in deinem Gehirn. Dort werden die Worte gebildet.
Ich liege hier nur und bin schläfrig, du bist der Schlagfertige von uns beiden,
der ganze Text ist in deinem Kopf unterwegs.«
    »Und der schwirrt mir gerade.«
    »Tut mir ja wahnsinnig leid.«
    »Katzensport. Ganz klar.«
    »Wenn du meinst.«
    »Schlaf gut«, sagte ich, und sie streckte sich wohlig in die
Baguetteform, während ich jetzt entschlossen den Laptop aufklappte. Allerdings
nur, um einige Notizen für meinen Essay zu machen und dann das dumme Spiel mit
den Kugeln zu spielen. Stundenlang.
     
    ˜
     
    Irgendwann hörte ich, wie sie Brekkies knabberte. Noch so
ein Geräusch, das mich glücklich macht.

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