Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Pfotentapsen, Schnurren, Brekkiesknuspern
sind für mich Musik. Dabei fiel mir die siebte Symphonie ein. Ich legte sie
auf. Und spielte weiter.
Immer wieder warf ich einen Blick zum Sofa. Sie lag noch da und
schlief. So würde ich gern leben, dachte ich, hierbleiben und mich von Isso
veräppeln lassen, wenn sie gerade wieder mal glaubte, ihr Humor brauche
Auslauf. Schade, dass ich mir das nicht leisten konnte. Das hier war nicht mein
Leben. Es war nur ein Urlaub. Den ich mir eigentlich auch nicht leisten konnte.
˜
Meine Freunde und mich eint eines: Wir haben die besseren
Zeiten schon hinter uns. Wir sind aus dem Alter für Förderpreise und Stipendien
herausgewachsen, müssten eigentlich alle eine Lehrerin zur Frau haben, die uns
mitschleppt, sind aber geschieden oder verwitwet und murksen uns so durch auf
niedrigstem Niveau. Wolf übersetzt Krimis aus dem Amerikanischen am Fließband
wie ich, Simon verbraucht ein kleines Erbe, dessen Neige langsam sichtbar wird,
Manuel arbeitet als Buchhändler, und Harpo, der eigentlich Winfried heißt,
tingelt als Musiker mit verschiedenen Besetzungen durch die Clubs von Berlin,
spielt Akkordeon, Mandoline und Ukulele und den Schrulligen vom Dienst mit
Vollbart und Hippiemähne.
In den letzten Jahren war ich mit meinen Biografien und
Ghostwriter-Aufträgen noch am besten dran gewesen, meine kleine Charlottenburger
Wohnung war nicht teuer, es reichte für Krankenversicherung, Lebensversicherung
und Flatrate, aber jetzt konnte das ein Ende haben. Wenn ich als Autor
verbrannt war, blieben mir nur die schlecht bezahlten Übersetzungen. Und
vielleicht der eine oder andere Ghostwriterjob. Wenn überhaupt.
˜
Isso war auf einmal wieder verschwunden. Und gleich
ertönte auch Frau Seeligs Stimme von der Terrasse: »Hallo? Stör ich?«
»Nein«, rief ich und klappte den Laptop zu, damit sie nicht sehen
konnte, womit ich meine Zeit verplemperte.
»Ihr Verleger verklagt Sie auf Schadenersatz.«
»Was?«
»Hab ich gerade im Internet gelesen.«
Ich starrte sie nur an. Keine Ahnung, was ich in diesem Moment
fühlte. Am ehesten war es eine große Leere. Nichts. Und dann ein Lachreiz. Ich
spürte, dass ich den Kopf schüttelte. Frau Seelig ging zum Holzstapel und holte
ihre Zigaretten.
»Katastrophe?«, fragte sie.
»Allerdings«, sagte ich. »Den muss ich wohl leider umbringen.«
»Ist verboten«, sagte sie, ohne zu lächeln. Sicher ahnte sie, dass
ich ruiniert sein würde, wenn der damit durchkam.
»Mein Mann ist Jurist, vielleicht kann der Ihnen was raten. Kommen
Sie doch heute Abend zum Essen.«
»Und Ihr Fernsehen?«
»Egal«, sagte sie, »storniert.«
»Danke«, sagte ich. Was anderes fiel mir nicht ein. Mir fiel gar
nichts mehr ein. Außer dass ich das Arschloch umbringen sollte. Ein Auto mieten
und dreimal drüberfahren. Und wenn das Auto zu klein war, vielleicht noch ein
viertes Mal. Zur Sicherheit. Jetzt hätte ich einen Grund zum Heulen gehabt.
Einen verständlicheren als meine vor Jahren verstorbene Katze Minnie. Frau
Seelig drückte ihre Zigarette aus und ging wieder. »Gegen sieben«, sagte sie
noch über die niedrige Hecke hinweg, die den Garten zum Weinberg hin begrenzt.
Erst jetzt fiel mir auf, dass sie diesmal nicht ihre Gartenklamotten trug,
sondern ein Kostüm.
˜
Hatte ich bislang nicht ins Internet und aufs Handydisplay
schauen wollen , jetzt konnte ich nicht mehr. Vielleicht war das schon eine psychische Störung, vielleicht
aber auch nur ein natürlicher Schutzreflex. Ich hielt den USB -Stick
in der Hand, aber es war mir unmöglich, ihn einzustecken, die Software zu
starten und den Browser anzuklicken. Ich wusste, dass ich es gar nicht erst zu
versuchen brauchte, es ging nicht.
Ich war woanders, nicht im ruppigen, dreckigen Berlin mit seinen
mürrischen Bewohnern, ich war ein anderer, nicht mehr der genauso mürrische
Mitbürger dieser Leute, ich hatte nichts mehr zu tun mit dem Alltag, der hinter
mir lag: schreiben, Tütensuppe, schreiben, Recherche, Diener, Bratkartoffeln
mit Spiegelei, billiger Wein, quasseln, klagen über die schlechten Zeiten,
husten wegen der Raucher, die Nase rümpfen über erfolgreichere Kollegen,
Verleger, Juroren, Kritiker und den allgemeinen Kulturverfall, der sich
zuallererst darin manifestierte, dass wir nicht mehr gefragt waren. Ich fühlte
mich ausgestiegen.
Dass mein Verleger mich nicht nur alleinließ, sondern auch noch
reinreißen wollte, war wie ein Tornado, der anderswo die Häuser durch die
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