Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
eine Katze seinen Weg kreuzt. Das bricht einem das
Herz.« Carmen war zurück mit den Blumen in einer Vase, die sie jetzt auf den Flügel
stellte.
Ich wusste nicht wieso, aber ich erwähnte meinen Katzenbesuch nicht.
Ich dachte nicht darüber nach, ich ließ es einfach sein. Isso war mein
Geheimnis.
»Ich bin eine Katze«, sagte Carmen jetzt, »eine Art Ersatz. Ich bin
so launisch und egozentrisch wie möglich, damit er wenigstens ein bisschen was
Katziges um sich hat.«
»Eine Werkatze«, sagte er, »immer bei Vollmond.«
Sie gab ihm eine kleine angedeutete Ohrfeige. Dabei krümmte sie ihre
Hand, als wäre es eine Pfote und sagte: »Auch tagsüber. Das kriegst du nur
nicht mit, weil du weg bist.«
»Insofern passen wir gut zusammen«, sagte er.
»Insofern?«
»Wir passen gut zusammen.«
Sie nickte zufrieden und zupfte ein bisschen an den Blumen herum.
Inzwischen hatte er die Gläser gefüllt und reichte ihr eines, mir
das nächste, dann erhob er seins und sagte: »Auf unsere temporäre
Nachbarschaft.«
˜
Es war so leicht mit diesen beiden, ich brauchte nicht
darüber nachzudenken, was ich sagen sollte, das Gespräch lief hierhin, dorthin,
kleine Pausen waren nicht peinlich, und ich kam mir nicht überflüssig vor,
obwohl sie ganz eindeutig ein Liebespaar waren und mich zu ihrem Glück nicht
brauchten. Sie spielten mir das auch nicht vor wie manche Paare, die ihre
Verliebtheit wie ein Theaterstück aufführen und sich so lange im neidischen
Auge der Betrachter spiegeln, bis sie selbst daran glauben – ich hätte es am
Ton erkannt, ob ich als Publikum vorgesehen war, dem man eine gute Ehe zum
Besten gibt, ich habe ein Ohr für falsche Töne, für die Anstrengung, die es
braucht, etwas anderes zu sagen, als man denkt.
Ich erfuhr, dass sie zwei Töchter haben, sieben und elf Jahre alt,
die zurzeit mit den Großeltern in Schweden waren, dass Carmen als
Physiotherapeutin und Johannes in einer großen, auf Insolvenzrecht und
Treuhandvermögen spezialisierten Kanzlei arbeitet, dass es in der Nähe einen
kleinen Waldsee gab, den Johannes als Teich bezeichnete, während Carmen auf dem
Wort See bestand, weil Teich in ihren Ohren nach Frosch klinge, sie beschrieben
mir dessen Lage, damit ich ihn mir ansähe, dann eröffnete mir Johannes, er habe
vor Jahren ein Buch von mir gelesen, die Biografie von W. C. Fields, und
schließlich erklärte Carmen auf meine Frage nach dem Flügel, dass sie darauf
spiele, aber nur wenn Johannes weg sei, weil ihr, wie sie sagte, nichts mehr
fehlerfrei gelinge.
»So viel zum Thema Blamieren vor Publikum«, sagte ich.
»Erwischt«, sagte sie.
»Ich habe Hunger«, sagte er.
»Dann los. Wir essen in der Küche.« Sie trank die Neige aus ihrem
Glas und stand auf.
˜
Es gab Bruschette als Vorspeise, ohne Knoblauch, dafür mit
zarten Frühlingszwiebeln. Es schmeckte wunderbar. Das Brot war so behutsam
getoastet, dass es sich noch schneiden ließ, ohne zu zerbröseln und man keinen
Lärm beim Essen machte, das Öl war phantastisch, ich beherrschte mich, den Rest
nicht vom Teller zu lecken.
Danach Ricotta-Ravioli mit sehr fein geschnittenem Lauch, der in
Weißwein gedünstet und mit glatter Petersilie, Crème fraîche und grünem Pfeffer
angerichtet war.
»Das ist phantastisch«, sagte ich.
»Beilagen«, sagte Carmen.
»Ist das ein Opfer für Sie? Das tut mir leid.«
»Nein, ist es nicht. Aber ich bin ein Karnivore und musste kurz
umdenken.«
»Hat sich aber gelohnt«, sagte Johannes, »eindeutig. Falls du hin
und wieder Lust hast umzudenken, ich mach mit.«
Und dann ging er unvermittelt zu meinem Problem über. Ob ich
inzwischen wisse, was für einen Schaden der Verleger geltend machen wolle, und
Carmen antwortete für mich, sie habe im Internet bei perlentaucher.de gelesen,
es gehe um Taschenbuchrechte, die zurückgezogen worden seien. Ein Vorschuss von
dreißigtausend Euro sei hinfällig, auf vierzig Prozent dieser Summe, also
zwölftausend, verklage er mich.
»Das ist unfassbar«, sagte ich, »so viel Vorschuss hat der niemals
gekriegt. Ausgeschlossen.«
»Dann hat er den Vertrag zum Schein gemacht. Mit einem Kumpel aus
dem Taschenbuchverlag.« Johannes hatte einen Block geholt und machte sich
Notizen.
»Gibt es Ihre Fassung mit den Fußnoten noch irgendwo im Computer?«,
fragte er, und ich erklärte ihm, ich hätte leider die Änderungen selbst
gemacht, als der Verleger mich dazu überredet hatte. »Jetzt wird mir auch klar,
wieso«, sagte ich, »er
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