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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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durch meine
Haare ging wie vor ein paar Tagen auf dem Holzstapel. Es kitzelte und zupfte,
war nicht wirklich angenehm, aber es war so freundlich, dass mich nicht
kümmerte, ob angenehm oder nicht, sie putzte mich.
    »Hast du Hunger?«, fragte ich, um nicht allzu verliebt zu wirken.
    »Immer«, sagte sie und streckte sich. Dann hüpfte sie vom Bett und
war verschwunden.
    Als ich mich aufraffte, um ihr Brekkies in den Teller zu schütten
und mir Teewasser aufzusetzen, schoss sie unter dem Bett hervor und schlug ihre
Krallen in mein Bein.
    »Aua«, schrie ich, »das tut doch weh!«
    Sie sagte nichts, lauerte nur sprungbereit und schnellte in die
Luft, sobald ich richtig stand – es sah witzig aus, wie sie alle viere von sich
schmiss, um mir die Krallen in Oberschenkel und Knie zu versenken. Es fühlte
sich aber nicht witzig an. Ich musste trotzdem lachen.
    »Du spinnst ja total«, schrie ich, »bist du über Nacht mutiert, oder
was?«
    Sie war längst wieder von mir abgefallen und putzte sich.
    »Das ist Morgengymnastik«, sagte sie gelassen, »tut dir gut.«
    »Quatsch. Es tut mir weh.«
    »Dagegen kannst du nichts haben.«
    »Wieso denn das?«
    »Wer Katzen mag, will sich unterordnen. Ein bisschen Schmerz ist
willkommen für Masochisten.«
    »Für mich aber nicht. Ich will mich nicht unterordnen. Das ist
Unsinn.«
    »Wenn du die Ansagen machen wolltest, dann hättest du einen Hund.«
    »Ich hab doch nicht mal eine Katze. Du bist doch nur zu Besuch.«
    »Erbsenzähler«, sagte sie, »Korinthenkacker, Dipfelesschisser.«
    »Was du für Wörter kennst.«
    »Sind alle in deinem Kopf. Das hatten wir
doch schon.«
    Sie war mir mit erhobenem Schwanz in die Küche vorausgeschlendert
und saß nun vor dem blitzblankleeren Schüsselchen, das gestern Abend noch
voller Brekkies gewesen war. Ich ließ reichlich Nahrung hineinrieseln.
    Während sie aß, stellte ich Wasser auf, streckte mich und gähnte,
das reichte mir als Frühsport, und ich betrachtete die blutigen Kratzer an
meinem Bein.
    »Du bist ein Monster«, sagte ich.
    »Das war gespielt «, sagte sie, ohne das Essen
zu unterbrechen, »was glaubst du, wie du aussehen würdest, wenn ich’s ernst
gemeint hätte.«
    Ich ließ mir wieder ein Bad ein und frühstückte wie am Tag zuvor
frugal, aber genüsslich im warmen Wasser. Und ich war bester Laune.
    Seltsamerweise war es mir egal, wenn das Arschloch von Verleger mir
zwölftausend Euro abknöpfte, oder nein, es war mir nicht egal, auf irgendeine
mir unverständliche perverse Art war es mir sogar recht. Er machte mein Leben kaputt,
und ich war es zufrieden. Sollte er. Und sollte er glücklich werden mit dem
zusammengelogenen Geld. So glücklich wie man nur werden kann, wenn man Menschen
betrügt, die sich auf einen verlassen. Für so jemanden musste man sich
eigentlich auch einen Gott wünschen. Damit er ihn ins Fegefeuer schleudert.
    Ich würde auch heute den USB -Stick in der
Tasche lassen und mein Handy nicht anschalten. Ich wollte entweder lesen oder versuchen,
meinen Artikel aufs Gleis zu setzen. Vielleicht würde ich später den kleinen
Waldsee suchen, den mir Johannes und Carmen so ans Herz gelegt hatten.
Vielleicht begleitete mich Isso. Das wäre nett. Spaziergang mit Katze.
    Ich hatte vorsorglich den Klodeckel geschlossen. Jetzt hörte ich
ihre Tapser und war gespannt, wohin sie fliegen würde. Auf den Badewannenrand
oder aufs Klo. Vielleicht wurde das unser Morgenritual? Ich liege in der Badewanne,
und sie leistet mir Gesellschaft? Sie flog aufs Klo.
    Sie putzte sich die Ohren und Augen, leckte ihre Pfote, dann wischte
sie damit übers Gesicht, dann leckte sie wieder, dann wischte sie wieder.
    »Gibt es eigentlich jemanden, der dich jetzt gerade vermissen
könnte?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte sie, »aber ich hab’s im Griff.«
    »Ich bin froh, dass du bei mir bist. Aber ich habe ein leicht
schlechtes Gewissen, wenn ich mir vorstelle, dass jemand sich Sorgen macht, wo
du bleibst.«
    »Wenn du das schlechte Gewissen nicht haben willst, dann frag
nicht.«
    »Ist das wirklich so einfach?«
    »Klar.«
    Jetzt kam sie mir wieder ein bisschen überheblich vor. So wie vor
ein paar Tagen auf dem Holzstoß. Aber ich sagte nichts, denn ich wollte ja,
dass sie hier war. Sie tat mir gut wie mir schon lang niemand mehr gutgetan
hatte. Ich fühlte mich hier so losgelassen, so erleichtert, als wäre alle
Lebensangst von mir abgefallen. Ich wusste, dass man sich manchmal im Urlaub so
fühlt und glaubt, das wirkliche Leben gefunden

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