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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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zu haben, aber der Urlaub ist
nur eine Pause – das wirkliche Leben wartet.
    »Hast du schon mal was davon gehört, dass wir Katzen neun Leben
haben?«
    »Ja. Wieso?«
    »Davon sind immer drei gleichzeitig.«
    »Wie bitte?
    »Drei Leben auf einmal.«
    »Du lebst jetzt gerade drei Leben?«
    »Jetzt gerade nur eins. Das mit dir. Aber in meiner jetzigen
Inkarnation lebe ich drei Leben parallel.«
    »Du bist drei Katzen? Und ich rede gerade mit einer davon? Einem
Drittel der Gesamtkatze?«
    »Es ist nicht ganz einfach zu erklären. Vielleicht packt dein
Menschenkopf das ja gar nicht. Aber wenn du zuhörst und keine ironischen Fragen
stellst, kann ich’s mal versuchen, okay?«
    »Okay.«
    »Es ist so: Dass manche Menschen von uns Katzen fasziniert sind,
kommt daher, dass ihr tief drinnen auf uns neidisch seid. Irgendwo in euren
Eingeweiden, euren Gehirnwindungen oder eurer DNS liegt die
Information verborgen, dass wir die einzigen Wesen sind, die wiedergeboren
werden und in manchen Fällen Erfahrungen mit sich herumtragen, die aus mehr als
nur einem Leben stammen. Deshalb halten uns manche Menschen für Götter und
andere für Teufel. Erinnerst du dich, dass ich sagte, wir sind was Besonderes?«
    »Allerdings. Ja.«
    »Und die Menschen, die das wissen, auch?«
    »Ja.«
    »Weil ihr eine Ahnung habt von unserer speziellen Existenzform.«
    Ich war mir sicher, sie verarschte mich wieder mal, aber ich sagte
nichts. Wenn ihr das Spaß machte, sollte sie sich amüsieren.
    »Da brauchst du aber ein hocheffizientes Zeitmanagement«, sagte ich,
»wenn du drei Leben gleichzeitig führen musst, das stell ich mir stressig vor.«
    »Das klingt nach der Sorte ironischer Fragen, auf die du doch
verzichten wolltest.«
    »Ja. Entschuldige.«
    »Die Zeit spielt hierbei jedenfalls keine Rolle. Gleichzeitig heißt
gleichzeitig. Drei ganze Leben zur gleichen Zeit. Nicht abwechselnd. Das kann
man sich als Mensch nicht vorstellen. Zeit ist eine Menschenkategorie. Sie wird
nur notwendig und taucht nur auf, wenn man ein Gehirn hat, das Erinnerung und
Prognose verarbeitet. Dass alles einen Anfang und ein Ende hat, ist klar, dass
daraus unser Erleben von Zeit resultiert, ist auch klar, aber die Zeit wird
erst relevant, wenn man ein Bewusstsein für sie hat. Und das habt nur ihr. Nur
die Menschen begreifen die Zeit. Wir Katzen haben damit nicht die Probleme, die
ihr damit habt.«
    »Kannst du das bitte ein bisschen genauer erklären?«
    »Leider nein. Ich finde in deinem Menschengehirn kein adäquates
Instrumentarium. Du müsstest es einfach glauben. Nachvollziehen ist leider
nicht drin.«
    »Mit dem Glauben habe ich aber ein Problem.«
    »Weiß ich.«
    Wir schwiegen eine Weile. Sie saß da wie eine Skulptur. Als wäre sie
sich ihrer Schönheit bewusst und gestatte mir einen ausgiebigen Blick darauf.
    »Ich muss los«, sagte sie und donnerte vom Klo mit vierfachem
Gewicht, sodass man den Aufprall sogar auf dem harten Steinboden hörte. Das
konnte ihren Gelenken nicht guttun.
    Sie ließ mich mit einem seltsamen Gefühl zurück. Ich war sicher,
dass sie mich veräppelte, aber ich war zugleich traurig und angerührt und
wusste überhaupt nicht, weshalb. Was konnte an diesem
Science-Fiction-Geschwafel traurig sein? Vielleicht war ich auch nur schlapp
vom etwas zu heißen Badewasser.
     
    ˜
     
    Aus dem Spaziergang würde erst mal nichts werden. Es
regnete. Ich schleppte den Sessel nach drinnen, er hatte noch nichts abbekommen,
weil er unter der Markise stand, aber ihn draußen zu lassen war mir, falls der
Wind drehen würde, zu riskant. Ich zog auch den Tisch und die Gartenstühle zur
Hauswand und unter die Markise.
    Eine Zeit lang stand ich in der Terrassentür und sah mir die
Sintflut an. Es war anders als zu Hause. Es war schön. Regen in der Stadt auf
Stein und Asphalt ist deprimierend, Regen auf Grün, Büsche, Bäume, Weinstöcke,
Wiesen, hat etwas Erlösendes. Als schaue man der Erde beim Löschen ihres
Durstes zu.
    In dieser Stimmung könnte ich schreiben, dachte ich. Nicht diesen
albernen Essay, zu dem mir noch immer kein brauchbarer Anfang einfallen wollte,
nein, eine Geschichte, einen Roman, so wie früher.
    Das war noch ein anderes Leben gewesen, ein richtigeres, schien mir
jetzt auf einmal, als ich noch erfundene Geschichten geschrieben hatte statt
dieser Auftragstexte, mit denen ich mich nun schon seit Jahren über Wasser
hielt. Mein eigenes Erleben hatte Bedeutung gehabt, das, was mir geschah, was
ich begriff oder fühlte, war noch

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