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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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im Bademantel den Weg, den mir
Johannes beschrieben hatte, durch den Weinberg, in den Wald, nach dem Wegkreuz
rechts ins Unterholz auf einen kaum sichtbaren Pfad und dann beim moosüberwucherten
Felsen wieder rechts.
    Es war anfangs schmerzhaft, jeder Stein und jedes Ästchen
attackierten meine Fußsohlen, aber nach den ersten vielleicht hundert Metern
trat ich schon beherzter auf und beschimpfte mich nicht mehr selbst für den
Einfall, ohne Schuhe loszugehen.
    Der See war märchenhaft schön. Ganz von Bäumen umgeben, eine nasse
Lichtung mit etwas Schilf, einem kleinen grasbewachsenen Uferabschnitt,
erstaunlich klarem Wasser und schon jetzt von den ersten Sonnenstrahlen erfasst,
in denen das metallische Blau einer Libelle aufblitzte und sich die konzentrischen
Ringe, die ein Wasserläufer als Spur hinterließ, glitzernd nach außen ins Vage
verloren.
    Es gab sogar einen kleinen praktischen Umkleidefelsen, auf den ich
meinen Bademantel legte. Einen Moment stand ich noch da und überlegte, ob ich
zu feige wäre, einfach ins Wasser zu springen, ob ich zuerst einen Zeh
hineinstecken sollte, mich langsam bis zu den Knien voranwagen und mit den
Händen ein bisschen Wasser auf Brust und Oberarme löffeln, aber dann
überraschte ich mich selbst und rannte mit einem Satz und einem lärmenden
Platschen hinein. Es war gemein kalt.
    Das hätte ich mir denken können, nach den Hektolitern Regen, die
hier gestern dazugekommen waren. Der See war groß genug, dass ich sechs Züge
schwimmen konnte, und nach drei Längen hin und her hatte ich die Kälte fast
vergessen. Und wollte jauchzen, wenn mir das Geräusch nicht vor mir selbst
peinlich gewesen wäre. Ich verstand Carmen Seelig. Es war großartig.
     
    ˜
     
    Leider lagen weder der Garderobenfelsen noch das Stückchen
betretbares Ufer in der Sonne, sodass ich mich nicht einfach trocknen lassen
konnte, deshalb zog ich den Bademantel über, so nass wie ich war, denn an ein
Handtuch hatte ich nicht gedacht.
    Als ich den Moosfelsen erreicht hatte und nach links auf den
unsichtbaren Weg abbog, erschrak ich, denn ein weißer Blitz fegte mir vor die
Füße. Isso. Sie strich an meinem Knöchel entlang und sagte: »Morgen. Wirst du
jetzt nachtaktiv?«
    »Ich war schwimmen.«
    »Weiß ich. Hab deinen Weg bewacht.«
    »Du bist mir die ganze Strecke gefolgt?«
    »Ja.«
    »Ich hab von dir geträumt.«
    »Weiß ich«, sagte sie, »war stressig.«
    »Du weißt, dass ich von dir geträumt habe?«
    »Das ist nur eine andere Art, deinen Kopf zu besuchen. Diesmal eben
während du schläfst.«
    »Dann besucht mich …«, ich brach ab.
    Wir gingen ein Stück. Ich schaute mich nicht nach ihr um, aber ich
hörte sie durchs Unterholz rascheln. Schließlich überholte sie mich und setzte
sich vor mich auf den Weg.
    »Minnie?«
    »Ich glaube, ich will nicht von ihr erzählen. Tut immer noch weh,
obwohl sie schon so lange tot ist.«
    »Vielleicht ist sie nicht so tot, wie du denkst. Sie besucht dich
immerhin im Traum. Vielleicht ist sie auf diese Art immer noch bei dir.«
    »Hör mal, wenn ich dir jetzt was erzähle, versprichst du dann, mich
nicht auszulachen?«
    »Lachen ist keine Katzenfähigkeit.«
    »Du weißt schon, was ich meine. Ob du das Gesicht verziehst oder
sonst was, ich bitte dich nur, deinen Humor kurz stecken zu lassen, wenn das
geht.«
    »Okay, mach ich. Versprochen.«
    »Ich habe in den letzten Tagen gedacht, du könntest vielleicht
Minnie sein. In ihrem nächsten Leben oder so. Du machst ein paar Sachen genau
wie sie. Du gurrst, wenn du aufs Bett springst, du donnerst auf den Boden, dass
man glaubt, es kostet dich die Kniegelenke, du kringelst dich so wie sie an
mich dran – wenn Minnie gesprochen hätte, dann wäre sie vielleicht auch so
besserwisserisch gewesen wie du. Ich muss jedenfalls immer wieder an sie
denken, wenn ich dich sehe. Dabei bin ich ein vernunftorientierter Mensch, ich
glaube nicht an übersinnliches Zeug. Aber dass Minnie noch irgendwie lebt und
in Verbindung mit mir steht, das möchte ich so gern glauben, dass es mich
manchmal einfach kalt erwischt.«
    »Ich bin nicht Minnie.«
    »Bitte denk jetzt nicht, ich sehe dich als Ersatz oder
Stellvertreterin oder so was. Du erinnerst mich nur an sie.«
    »Ich bin nicht eifersüchtig.«
    Wir gingen ein Stück weiter in Richtung Waldrand, sie stromerte
links und rechts ins Unterholz, flitzte dann wieder an mir vorbei, ich trat
noch immer vorsichtig auf und versuchte, die allzu spitzen Steine auf dem Weg
zu erkennen und

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