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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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rein, legen Sie ab, was für ein Missgeschick? Wollen Sie
eine Tasse Tee?«
    »Gern. Tee gern, Ablegen ist leider nicht möglich. Ich muss den
Boden volltropfen.«
    Ich sah sie fragend an.
    »Ich habe nichts drunter.«
    Bevor sich die Dimension dieser Aussage in meiner Vorstellungskraft
richtig aufschwingen konnte, reagierte ich schon ritterlich, wie es sich
gehört. »Bademantel«, sagte ich und ging ins Bad, um ihr den zum Glück noch
nicht von mir benutzten und deshalb trockenen Bademantel und ein Handtuch zu
bringen.
    »Ich dreh mich um.«
    »Danke.«
    Sie nahm mir den Bademantel ab und knöpfte sich gleichzeitig den
Regenmantel auf. Ich ging in die Küche, um ihr eine Tasse Tee zu holen, und als
ich zurückkam, hatte sie schon den Bademantel an und frottierte sich die Haare.
    »Ich war schwimmen«, sagte sie, »und hab den Hausschlüssel nicht
eingesteckt.«
    Ich konnte es nicht ändern, ich musste lachen. Sie sah mich an und
lächelte.
    »Nicht dass ich wirklich verstünde, was Sie meinen«, sagte ich,
»aber nachzufragen wäre vielleicht spießig oder ungehörig oder unpassend.
Irgendein Wort mit un- am Anfang müsste stimmen.«
    »Wir haben Ihnen doch gestern von unserem kleinen und ziemlich
geheimen Waldsee vorgeschwärmt, erinnern Sie sich?«
    »Und da gehen Sie schwimmen?«
    »Ja.«
    »Wenn es regnet.«
    »Ja, dann bin ich auf jeden Fall allein dort.«
    »Und deshalb müssen Sie auch nichts unter den Regenmantel anziehen.«
    »Jetzt haben Sie’s aber voll erfasst.«
    »Und dieses Konzept geht nur auf, wenn der Hausschlüssel im
Regenmantel ist. Sonst müssen Sie nackt in der Nachbarschaft um Einlass
betteln.«
    »Sie haben’s erfasst. Sagte ich schon. Sie dürfen ruhig lachen. Ist
ja auch witzig.«
    »Soll ich Ihnen ein Bad einlassen?«
    »Au ja. Aber vorher muss ich noch den Schlüsseldienst anrufen. Er
muss mir die Haustür knacken.«
    »Kann Ihr Mann nicht kommen?«
    »Der ist in Jena. Und außerdem weiß er nichts von meinen
regentäglichen Schwimmexkursionen. Und mir ist lieber, er erfährt nichts davon.
Er würde noch lauter lachen als Sie.«
    »Tut mir echt leid.«
    »Ist schon in Ordnung. Ich würde auch lachen.«
    Ich ließ ihr ein Bad einlaufen und nahm eins meiner T -Shirts
aus der Tasche, meine Ersatzhose und eine Unterhose. Aber die legte ich wieder
zurück. In eine Männerunterhose würde sie nicht schlüpfen wollen. Sie
telefonierte unterdessen mit dem Schlüsseldienst, als ich mit meinem kleinen
Kleiderstapel an ihr vorbeikam, legte sie gerade auf.
    »Würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich in der Badewanne eine
Zigarette rauche?«
    »Aber nein, ich hol sie Ihnen. Und als Aschenbecher tut’s auch eine
Untertasse, oder?«
    »Da ist einer im linken Oberschrank in der Küche.«
    Ich holte die Zigaretten und das Feuerzeug vom Holzstoß und brachte
sie ins Badezimmer, wo Carmen Seelig auf dem Wannenrand saß und den Blick in
den Spiegel vermied. »So was Dummes«, sagte sie und: »Danke.« Den Aschenbecher
hatte sie sich selbst aus der Küche geholt und auf dem Wannenrand bereitgestellt.
Ich legte ihr noch ein frisches Handtuch hin und schloss die Tür hinter mir.
»Rufen Sie mich, falls Sie noch Tee wollen«, sagte ich durch die geschlossene
Tür hindurch. »Danke«, hörte ich und ging ins Wohnzimmer, um in Ruhe zu Ende zu
lachen.
    Dann machte ich ein Feuer im Kamin. Es gelang mir erstaunlich gut.
Meine Pfadfinderzeit war schon sehr lange her, und als Grillfanatiker bin ich
nie in Erscheinung getreten. Grasfresser grillen nicht. Außer Paprika, Zucchini
und Kartoffeln kann man höchstens noch Maiskolben drauflegen. Das ist den
Aufwand nicht wert.
    Meine Kleider waren ihr zu groß. Ich hatte ihr vorsorglich meinen
Gürtel überlassen, aber der besaß dort, wo sie welche gebraucht hätte, keine
Löcher mehr. Und so lang und überdies elastisch, dass man ihn knoten konnte,
war er auch nicht. Also suchten wir in den Küchenschubladen nach einem Stück
Schnur, fanden nichts und behalfen uns schließlich mit dem Netzkabel meines
Handys. Der Stecker hing herunter, aber wenigstens rutschte die Hose nicht
mehr, und das darüberhängende Hemd verbarg die aparte Improvisation.
    »Der Tee ist gut«, sagte sie, nachdem sie den Sessel zum Kamin
gerückt und sich hineingesetzt hatte. »Haben Sie den mitgebracht?«
    »Nein, hier im Supermarkt gefunden. Roibusch mit Orange und Zimt.
Schmeckt zwar ein bisschen nach Weihnachten, aber das muss man ja nicht so eng
sehen.«
    »Zum Wetter passt er allemal.«
    Es

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