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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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unterwegs – sie brachte mich zum
Lachen, wenn sie randalierte, sie mochte es, wenn ich sie zwischen die Ohren
küsste, und wenn sie während meiner Abwesenheit krank wurde, dann hatte ich den
Eindruck, sie erhole sich sofort wieder, sobald ich nach Haus gekommen war.«
    Ich schwieg eine Zeit lang, Isso ebenfalls. Sie hatte die Augen zu
Schlitzen verengt, und ihre Pfoten waren nebeneinander ausgestreckt wie bei
einer ägyptischen Statue. Eine Katzensphinx. Meine Angst, ich könnte schon wieder
heulen, nur weil ich von Minnie erzählte, verflog. Es tat gut, von ihr zu
reden, obwohl sie dadurch wieder fast lebendig, und mir bei jeder Einzelheit,
die ich wachrief, klarer wurde, dass ich sie noch immer vermisste. Aber jetzt,
mit Isso, fühlte sich dieses Vermissen auf einmal nicht mehr wie eine Wunde an,
sondern nur noch wie eine Narbe.
    »Ich habe mich immer aufs Heimkommen gefreut, wenn ich unterwegs
war.«
    Wieder Schweigen. Ich stellte mir Minnie vor, wie sie mich beim Nachhausekommen
empfing – sie saß immer an derselben Stelle mit verschlafenem Gesicht – wie sie
sich dann mit einem kleinen Sprung erhob, wenn ich mich zur
Nase-an-Nase-Begrüßung auf die Knie begeben hatte. Dann tanzte sie noch zwei
elegante Schmusekurven an meinem Gesicht vorbei, und dann war das
Begrüßungsritual vollzogen.
    »Sie roch unglaublich gut. Ich weiß heute noch, wie sie roch.«
    »Wonach?« Zum ersten Mal seit Minuten hörte ich Issos Stimme wieder.
    »Nach Tee und Heu und irgendwas.«
    Isso lag jetzt da wie ein Schiff, eine Katzengaleere, ihre Pfoten
inzwischen vor der Brust eingeklappt, die Ohren nach vorn gerichtet, die Augen
geschlossen.
    »Schläfst du?«, fragte ich.
    »Ich konzentrier mich«, sagte sie. »Ich hör zu.«
    »Heute Morgen, als du auf meine Schulter gesprungen bist, da hast du
gesagt, das sei unkatzig. Minnie hat auch so was Unkatziges getan. Sie war noch
jung damals, kein Jahr alt, und ich wollte sie sterilisieren lassen. Und weil
ich zu feige war, sie in einen Katzenkorb zu zwingen, dann mit dem Taxi zum
Tierarzt zu fahren und vielleicht ihre unglücklichen oder verängstigten Schreie
anzuhören, habe ich einen Fahrdienst der Tierklinik in Anspruch genommen. Ein
Zivi kam mit Transportkiste, wir tricksten sie zusammen hinein, und er zog ab
mit ihr und brachte sie nach drei Stunden wieder.
    In diesen drei Stunden habe ich mich so geschämt, dass ich am
liebsten in den Boden gebissen hätte. Im Auto wären ihr bestimmt meine Stimme
und meine Anwesenheit besser bekommen als das Alleinsein mit dem fremden Mann.
Ich wollte mit dem Taxi hinterherfahren, um wenigstens im Wartezimmer neben ihr
zu sitzen und sie zu trösten, aber ich dachte, es ist zu spät, jetzt ist sie
schon betäubt, jetzt hat sie nichts mehr davon.
    Als der Zivi mit ihr wiederkam und wir sie vorsichtig aus dem Korb
hoben, war sie noch unter Narkose, sie war vollständig weg. Ich legte sie auf
eine Decke, unter der ich ein großes Kissen platziert hatte, und setzte mich zu
ihr, damit sie wenigstens beim Aufwachen gleich meine Stimme hören und wissen
würde, dass sie in ihrer gewohnten und sicheren Umgebung war.
    Ich saß im Sessel, hatte keine Musik an, damit ich gleich mitbekäme,
wenn sie aufwachte – es war Abend, ein Spätsommerabend, so wie jetzt etwa – ich
weiß noch, dass keine Heizung an war und Stille draußen, niemand arbeitete mehr
im Garten, die Vögel sangen nur noch vereinzelt, kein Tellerklappern aus der
Nachbarschaft, nur noch hin und wieder ein Auto in einer der Nebenstraßen oder
das Ratschen einer Jalousie, die heruntergelassen wurde. Ich schlief ein.
    Und ich wachte auf, weil sie auf meinen Schoß gesprungen war. Noch
ganz im Tran von der Narkose und bestimmt mit einknickenden Beinchen, weil ihr
Körper noch nicht wieder richtig mitmachte, war sie zu mir gekommen und in
meinen Schoß gehupft. Sie schnurrte ganz leise und kringelte sich vorsichtig
ein – ich legte meine Hand um ihren Hintern – sie schlief, und wir blieben so
die ganze Nacht. Ich bin andauernd aufgewacht, aber ich habe mich nicht
gerührt, damit sie ihren Narkoserausch ungestört ausschlafen konnte.«
    Ich schwieg wieder eine Weile. Isso überließ mich meiner Erinnerung.
    »Als Katze verkriecht man sich doch eher, wenn man sich nicht gut
fühlt, man versteckt sich unterm Bett oder hinter den Büchern, man sucht keine
Nähe. Aber sie hat sich ganz nah an mich angekuschelt. Ich habe das als Liebesbeweis
der ganz besonderen Art angesehen.«
    »Und auch als

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