Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
umgehen. Als wir beim Wegkreuz aus dem Wald kamen, blieb ich
einen Moment stehen, so überwältigend war der Anblick der Weinberge, Gärten,
Wiesen und des Städtchens mit seinem Kirchturm und frühmorgendlichen Schimmer
auf den Dächern.
»Erlaubst du mir noch eine vielleicht dumme Frage?«
»Humor immer noch stecken lassen?«
»Ja bitte.«
»Also gut. Frag mich.«
»Kennst du sie?«
»Minnie?«
»Ja.«
»Flüchtig. Wir haben uns in deinem Kopf kennengelernt. Ich soll dir
sagen, dass es ihr gut geht.«
Jetzt verschwamm das Bild vor meinen Augen. Ich konnte es nicht
ändern, ich heulte. Aber ich wollte es auch nicht ändern. Niemand war hier, vor
dem mir das hätte peinlich sein müssen, und auf Issos Diskretion verließ ich
mich. Ich blieb stehen.
Sie strich mir um die Beine. Dann setzte sie sich geduldig neben
mich wie ein braver Hund und wartete, bis ich mich wieder gefangen hatte.
»Komm frühstücken«, sagte sie dann und flitzte mit einem Sprung ins
Weinfeld. Ich folgte ihr. Mitten durch die Rebstöcke war der Weg kürzer und der
Boden für meine nackten Füße angenehmer.
Auf einem Wirtschaftsweg, den wir überquerten, stand plötzlich ein
Hund. Er war ohne Leine, ohne Mensch, er sah Isso und schoss auf sie los. Ich
sah, dass sie sich nirgendwo nach oben retten konnte und rief ihr zu: »Komm
hoch, auf meine Schulter!«
Sie tat es. Sie sprang aus dem Stand und landete präzise neben
meinem Gesicht, ich spürte ihre Krallen, die sich schmerzhaft tief in mein
Fleisch eingruben, und der Hund stand vor uns und bellte und bellte und bellte.
Er war eher klein, er sprang nicht an mir hoch, er bellte nur wie von Sinnen,
und ich stand starr. Ein Mann im Bademantel mit einer Katze auf der Schulter.
Das ist das, was die jetzt heranjoggende Frau sah. »Lissi«, schrie
sie, »aus!«
Der Hund gehorchte, ich stand immer noch starr, die Frau sah uns an,
und ich wette, sie traute ihren Augen nicht. Aber sie nahm vorsichtshalber
dennoch ihren Hund an die Leine, der sich jetzt aufs Knurren verlegt hatte.
Auch wenn sie nur eine Halluzination vor ihm beschützte, sicher ist sicher,
dachte sie vielleicht und joggte wortlos, den Hund an der Leine, weiter.
»Danke«, sagte ich und »Guten Morgen«, aber sie antwortete nicht und
drehte sich auch nicht mehr nach uns um. Sie glaubte einfach nicht, dass wir
wirklich waren. Sie überlegte, was wohl in ihren Morgenkaffee reingeraten sein
konnte, das ihr derart schrille Erscheinungen verschaffte.
˜
Meine Schulter blutete. Issos Krallen waren so tief
eingedrungen, dass ich blaue Ränder um die Wunden sah. Egal. Diese kleine Szene
vorhin im Weinfeld hatte mich glücklich gemacht wie schon lange nichts mehr.
Ich lag inzwischen mit Tee und Marmeladenbrot in der Badewanne, und
Isso saß auf dem Klodeckel und putzte sich.
»Das war sagenhaft gut«, sagte ich, »dass du auf meine Schulter
gesprungen bist und mir vertraut hast, das war einfach sagenhaft gut. Ich bin
stolz auf dich.«
»Eigentlich ist das nicht katzig. Als Katze sorgt man für sich
selber«, sagte sie, »aber ich bin in deinem Kopf zu Besuch, und dort sah es aus
wie die beste Möglichkeit, sich vor diesem stinkenden Brüllhaufen in Sicherheit
zu bringen.«
»Ja.«
»Die zweitbeste wäre gewesen, ihm was auf die Nase zu geben, dass er
seinen eigenen Schwanz überholt.«
»Ich zweifle nicht daran, dass du erfolgreich gewesen wärst. Trotzdem
bin ich froh, dass du gesprungen bist. Mir ist fast das Herz stehen geblieben,
als der plötzlich auf dich zuschoss.«
»Sabberlärmer. Scheißhund, blöder.«
»Na ja, der macht auch nur, was er machen muss. Was glaubst du, was
eine Maus über dich sagt.«
»Ist mir egal.«
»Dem Hund auch.«
»Und wer ist jetzt hier der Besserwisser?«
»Ich, du hast recht. Tut mir auch mal gut. Du hast immer das letzte
Wort, und ich hab zwischendrin auch mal recht. Das ist nur fair, oder?«
Sie sah mich an. Ich wartete auf die freche Bemerkung, die jetzt
unweigerlich kommen musste, aber es kam nichts. Irgendwann öffnete sie den Mund
und sagte: »Miau.«
Ich musste lachen.
˜
Nach dem Frühstück war sie losgezogen und ich hatte mich
an meinen Artikel gesetzt. Es ging sehr gut voran. Zwar hatte ich noch immer
nur disparate Teile, aber ich kannte das schon: Bald würden es so viele sein,
dass ich eine Struktur sah. Dann musste ich nur noch ordnen und den Kitt
schreiben.
Meinen Kuli hatte ich hinter dem Sofa hervorgeholt, ich brauchte ihn,
um Notizen zu machen.
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