Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Und damit sie ihn bei der nächsten Gelegenheit nicht
wieder in irgendein schwer zugängliches Off expedieren würde, knüllte ich in
der Küche drei kleine Kugeln aus Alufolie. Wer weiß, vielleicht würden die mir
auch als Ablenkungsangebote helfen, falls sie wieder mit einer lebenden Maus
ankam.
Es war seltsam, ich wusste, dass mein Idyll hier nur eine Ausnahme
war, keine Normalität, kein erreichbarer oder gar haltbarer Zustand, und
trotzdem kreisten meine Gedanken immer wieder um die Möglichkeit, dies alles
hier, Isso, die netten Nachbarn, den See, die Abwesenheit aus meinem gewohnten
Lebenstrott, zu erobern. Ich wollte hierbleiben.
Mir geschah hier etwas, das ich nicht mehr für möglich gehalten
hatte. In Berlin war ich so was wie der Spezialist für absterbende Gespräche,
wer sich auf mich als Dialogpartner einließ, hatte Pech und suchte nach wenigen
Minuten verzweifelt nach einem Thema, auf das ich vielleicht doch noch
anspringen würde – ich war einfach ein Langweiler. Das war nicht immer so
gewesen, ich war irgendwann im Laufe der Jahre dazu geworden, weil sich immer
mehr Gedanken zwischen mich und meine Worte gedrängt hatten. Hier war das auf
einmal wieder vorbei. Mit Isso redete ich spontan und direkt, ein Wort gab das
andere, und mit den Seeligs war es ebenso. Das kannte ich nicht mehr an mir.
Und hier hatte mich auch noch niemand (außer dem Hund im Weinfeld)
angegrunzt, angebellt oder angerempelt. In Berlin war das normal. Natürlich gab
es dort auch Freundlichkeit, aber sie wirkte wie die Ausnahme, nicht wie die
Regel. Vielleicht war ich ja, entgegen meinem bisherigen Selbstbild, ein
Provinzler, der sich ein Metropolenleben verordnet hatte, in das er nicht
wirklich passte? Vielleicht brauchte ich Übersichtlichkeit und Platz zwischen mir
und dem Rest der Menschheit?
»Jetzt erzähl endlich«, sagte Isso. Sie lag auf dem Sofa, als hätte
sie sich nie von dort wegbewegt. Ich hatte sie nicht gehört.
»Bist du eingeschwebt, oder was?«
»Wieso, weil du mich nicht gehört hast?«
»Ja.«
»Katzen können schleichen, hast du das vergessen?«
»Ich dachte, du kannst nur trampeln oder latschen, auf jeden Fall
habe ich dich bisher immer gehört.«
»Nur weil ich das wollte.«
»Was soll ich denn erzählen?«
Sie gähnte wieder und machte ihre Augen schmal. »Von deiner großen
Liebe«, sagte sie, »von der einen und einzigen Katze, die du so geliebt hast,
wie andere Leute nicht mal einen Menschen lieben.«
»Höre ich da Spott raus?«, fragte ich, denn sie schien mir schon
wieder so herablassend. War sie vielleicht doch eifersüchtig? Auf eine tote
Katze?
»Falls ja, dann fälschlicherweise. Ich meine es nicht ironisch. Du
hast vom ersten Moment an, als du merktest, dass ich spreche, an deine Minnie
gedacht, und sie ist dir seither nicht wieder aus dem Kopf verschwunden. Stimmt
doch, oder?«
»Ja.«
»Also.«
»Was also?«
»Erzähl.«
»Es gibt eigentlich nicht viel zu erzählen.«
»Dann erzähl halt wenig.«
»Sie war ein bisschen wie du, das weißt du ja schon, sie hat gegurrt
wie du, sie hat sich an mich drangekringelt nachts beim Schlafen, nicht ganz
wie du, sie lag nicht in meinem Arm, bei ihr war es eher so was wie die
Löffelchen-Haltung. Sie hat sich an meine Brust gelegt, sodass ich ihren Rücken
spürte und sie mein Herz, sie hat geredet mit mir, nicht wie du, nicht in
meiner Sprache, bei ihr war es Zwitschern, Gackern, Miauen, Quietschen, Gurren
und so eine Art kleines Quaken, wenn sie hinter was herjagte, und ein Gejohle,
wenn sie durch die Katzenklappe von draußen hereindonnerte und mich begrüßte.
Eine Zeit lang war sie verrückt nach Kartoffelbrei und später eine Weile nach
gebratenen Zucchini. Sie war schwarz und hatte weiße Schuhe – wenn sie lange
wegblieb, hatte ich Angst um sie, wenn sie krank war oder verletzt, hat es mir
so die Brust eingeschnürt, dass ich mich immer wieder bei viel tieferen
Atemzügen erwischt habe. Wenn ich traurig oder unruhig oder ängstlich war, hat
sie mich in den Schlaf geschnurrt, und wenn ich nicht wusste, wie ich mich
fühlte – das war meistens der Normalzustand –, dann brauchte ich nur einen
Blick auf sie zu werfen, um zu begreifen, dass es mir gut ging.
Ich habe mich geschämt, wenn ich sie festhalten musste, damit der
Tierarzt ihr eine Spritze geben konnte, ich habe ihr die lebenden Mäuse
geklaut, wenn es mir gelang, sie ging mit mir spazieren – wir wohnten damals am
Stadtrand und nachts war niemand sonst mehr
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