Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
umrühren musste, der reine Junk. Aber ich
würde mir den hoffentlich guten Wein dazu aufmachen und fernsehen. Egal, was
kommt.
Isso lag noch immer im Sessel.
»Möchtest du lieber Thunfisch oder lieber denselben wie gestern?«
»Thun.«
Heute war eben mal Junktag. Dose aufmachen, Packung aufmachen.
Schlingen. Ich konnte uns ja am nächsten Tag was Besseres kochen.
Wir aßen schweigend. Das hatte ich früher auch mit meinem Sohn
gehabt. Es gefiel mir. Isso war zwar eine Frau, und mit Frauen scheint das
Schweigen immer einen Mangel bloßzulegen – unter Männern zeigt es eher Frieden.
Einverständnis. Ruhe. Vielleicht gilt das ja auch für Männer und Katzen. Ich
hatte jedenfalls nicht das Gefühl, ich müsste mir unbedingt ein Gesprächsthema
einfallen lassen.
Nachdem der Thunfisch auf ihrem Tellerchen bis auf den letzten
Krümel verschwunden war, sprang sie vom Tisch, ging was trinken, kam zurück,
sprang in ihren Sessel, streckte sich, putzte sich und schlief weiter.
Regentag.
Ich schaltete den Fernseher ein und verschwendete meine Zeit. Und
fühlte mich wohl.
˜
Bevor ich mich ins Bett legte, stand ich noch eine Weile
in der Terrassentür. Der Regen hatte aufgehört, der fast volle Mond erschien
zwischen den letzten, sich rasch auflösenden Wolken und warf ein magisches
Silberlicht auf die nassen Weinstöcke, Tabakpflanzen, Büsche und Bäume. Isso
hatte sich verzogen, ich atmete die ionisierte Luft und entdeckte ein so
überraschendes wie verwirrendes Gefühl in mir: Heimweh nach dem Ort, an dem ich
war.
Ich wollte nicht zurück, ich wollte keine himmelhohen Hauswände mehr
sehen, keine achtlosen Rempler mehr einsammeln, keinen Streit unter
alkoholisierten Wracks mehr mit anhören, wenn ich in der Nacht aufwachte, nicht
mehr Hundehaufen und Straßenfegerverkäufern ausweichen, ich wollte diese
Eremitage mit Katze und Nachbarsehepaar und nichts als Grün vor Augen.
Aber ich konnte doch nicht schon wieder fliehen.
Ich war immer geflohen. Hatte den Ort gewechselt, wenn das Leben mir
unerträglich erschienen war. Jetzt hätte ich wieder alles zusammenpacken können
und raus aus dem falschen und hierher in ein vielleicht endlich richtiges,
ruhiges, aufgeräumtes und konzentriertes Leben ziehen. Und vielleicht wieder
schreiben. Etwas schaffen. Nicht mehr nur weitermurksen bis zum nächsten Job.
Meine Freunde würde ich vermissen, aber ich hatte schon so viele
Menschen vermisst, darauf käme es jetzt wohl auch nicht mehr an. Und sie
konnten mich ja besuchen. Wenn sie die Stille hier ertrugen, dann konnten sie
mit mir durch die Weinfelder gehen, im Waldsee schwimmen, Gespräche über mehr
als nur die ungerechte Welt mit mir führen und sehen, dass man anders
existieren kann als in Kneipen, U -Bahnen, Parks und Menschenmengen.
Falls sie mich überhaupt vermissen würden. Vielleicht verschwand ich ja, ohne
eine Lücke in ihrem Kreis zu hinterlassen. Vielleicht bemerkten sie mein Fehlen
nicht mal. Ich hatte sie gern, aber das konnte ich auch aus der Ferne. E -Mails
schreiben, Besuch empfangen, telefonieren. Ich wäre nicht aus der Welt. Nur aus
der Stadt.
˜
Irgendwas musste ich geträumt haben. Da war noch ein vages
Bild von Isso in meinem Kopf, wie sie durch Berlin irrt, Menschen ausweicht,
vor Fahrrädern erschrickt, vor einem Auto flieht, nur um direkt vor der
Schnauze des nächsten zu stehen. Ich rufe sie, aber sie hört mich nicht. Es war
grauenhaft. Ich hatte Angst gehabt um sie.
Das war ein Déjà-vu. Genau so hatte ich früher von Minnie geträumt.
Und nie war sie auf meine Schulter gesprungen, um sich von mir sicher durch
alle Fährnisse tragen zu lassen.
Isso lag nicht auf meinem Bett und nicht in ihrem Sessel. Es war
kurz nach fünf, und das Vogelorchester schon mitten im Tutti, kein Wölkchen am
Himmel, das Glitzern des Regens auf den Blättern war verschwunden und nur hier
und da noch Schwaden von Bodennebel in die Szenerie geflochten. Die Luft roch unglaublich
gut. Wäre ich ein Schriftsteller gewesen, dann hätte ich beschreiben können,
wie sie roch, zumindest mich dazu aufgerufen gefühlt, aber ich war nur ein
Sachbuchautor, der verlernt hatte, poetischen Anflügen nachzugeben. Das will
niemand lesen. Nicht von mir.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich wieder nackt auf der Terrasse
stand, und ich holte den Bademantel und zog ihn über. Im Gegensatz zu Frau
Seelig brauchte ich keinen Hausschlüssel einzustecken, die Schiebetür konnte
nicht zufallen, also ging ich barfuß und
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