Heinermaedsche
schon gar nicht nach Chile. Ich verstehe das alles nicht.« Marianne drohte schon wieder, in Ohnmacht zu fallen, ein Seitenblick von Ursula genügte jedoch, dass sie bei Bewusstsein blieb.
»Wie meinen Sie das?«
»Wissen Sie, mein Hubertus ist noch nie geflogen. ›Keine Zehn Pferde kriegen mich in ein Flugzeug‹, hat er immer gesagt. Alle unsere Urlaube fanden deshalb in der Schweiz oder in Norwegen statt. Manchmal sind wir auch nach Heringsdorf gefahren. Wegen dem guten Seeklima. Mein Hubertus hatte ein Lungenleiden. Daher wirkte er oftmals ein wenig kränklich und … «
»Kränklich? Ich bitte Sie, der Mann in dem Sarg sieht aus wie das blühende Leben. Groß, kräftig, vor Testosteron strotzend, nur eben ein bisschen blass um die Nase, aber sonst bestens, ein muskulöser Mann«, erwiderte der SEK-Mann.
»Moment mal«, klinkte sich Eva in das Gespräch ein, »Hubertus ist mittelgroß, grauhaarig und beinahe 69 Jahre alt. Was reden Sie denn da?«
»Es gab offensichtlich eine Verwechslung. Der Mann im Sarg ist nicht Ihr Mann, wie es scheint. Der Tote ist Paolo Mariano, ein Drogendealer.«
»Wo ist mein Mann dann?«, schrie Marianne, der Hysterie nah.
»Sch, sch, sch. Alles wird gut«, streichelte Gerlinde ihre Freundin.
»Der Verbleib Ihres Mannes entzieht sich meiner Kenntnis«, sagte er an Marianne gewandt. »Aber es scheint, als hätten Sie mit der Sache nichts zu tun. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.« Mit diesen Worten drehte sich der nette SEK-Mann um und machte eine bestimmende Handbewegung in Richtung seiner Leute. Diese setzten sich in Bewegung und nahmen den Sarg mitsamt Inhalt einfach mit.
»Halt! Stopp! Wo ist denn nun unsere Leiche? Sie können uns doch nicht einfach so stehen lassen!«, empörte sich Gerlinde.
»Gehen Sie doch mal zum Krematorium, dort finden Sie den Verwalter des Friedhofes. Der kann Ihnen vielleicht weiterhelfen. Wenn die Damen nun erlauben, würden wir diesen bösen Buben gerne gründlich untersuchen.« Der Hüne ging schnellen Schrittes seinen Leuten hinterher. Die gesamte Truppe verschwand samt Sarg durch die Büsche, wie sie gekommen war. Es wurde schlagartig ruhig. Nichts erinnerte mehr an die aufreibende Szene, die sich vor wenigen Sekunden an diesem Ort abgespielt hatte.
»Wartet hier, ich gehe zu dem Verwalter und werde versuchen, Hubertus zu finden. Der kann sich ja nicht versteckt haben. Ihr kümmert euch um Marianne.« Ursula eilte den Weg entlang und verschwand hinter der nächsten Biegung.
Nach einer Weile ertönte ihre Stimme wieder, die sich in einer ihrer gefürchteten Tiraden erging. Als unfähiges Pack bezeichnete sie die armen Friedhofsangestellten.
Es war ein herrliches Schauspiel für die Besucher des Friedhofes, die sich mittlerweile zu einer Traube formiert hatten und um die besten Plätze rangelten, damit sie ja nichts verpassten.
Die Freundinnen standen noch immer am leeren Grab und beobachteten die Bemühungen der Angestellten, die einen Sarg an den dafür vorgesehenen Platz hievten. Nachdem alle Blumen schön arrangiert waren und wieder bedächtige Ruhe eingetreten war, wurde der Sarg in die Erde gelassen. Allerdings verzichteten die Freundinnen auf eine weitere Grabrede. Sie wollten die Beisetzung möglichst schnell hinter sich bringen. Vor allem Marianne, die ständig nervös über ihre Schultern blickte.
»Ist da nun mein Mann drin? Oder trauere ich jetzt vielleicht um einen italienischen Gigolo?«, fragte sie Ursula völlig ernst.
»Willst du etwa den Sarg öffnen? Nun nimm, was ich dir bringe, und dann gehen wir endlich einen ordentlichen Schnaps trinken. Der Verwalter ist dermaßen peinlich berührt, dass er zum Whiskey gegriffen hat. Aber sei beruhigt, ich habe nachgesehen. Es ist dein verblichener Mann.« Ursula lächelte ihre fassungslose Freundin an und befand offensichtlich, alles sei in bester Ordnung. Ein gut gefüllter Flachmann kreiste durch die Menschentraube. Dankbar griff ihn sich Marianne und nahm einen großzügigen Schluck.
Nachdem die restliche Zeremonie ohne weitere Vorkommnisse beendet worden war, atmeten die Freundinnen erleichtert auf.
»Lasst uns in die ›Sitte‹ gehen«, schlug Gerlinde vor.
Mit einem Großraumtaxi fuhren die vier zu dem Restaurant, das in einem Gebäude mit bewegter Geschichte untergebracht war und eine unglaubliche Atmosphäre ausstrahlte.
Gerlinde hatte die Lokalität mit Bedacht ausgewählt. Hier hatte ihr Hubertus damals seine
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