Heinermaedsche
ausleben. Irgendwie konnte sie ihre Freundin sogar verstehen. Natürlich schickte sich ein solches Abenteuer nicht für eine richtige Dame, aber sollte sie deshalb vereinsamen und sich ihre Bedürfnisse verkneifen? Gerlinde war nun wirklich alt genug, um über solche schamhaften Gefühle hinweg zu sein, und hätte viel Spaß bei erotischen Stunden mit diesem Kraftpaket.
Gerlinde legte den Kopf schräg. »Was ich mit dem wohl anstellen könnte?«
»Was?«
»Wie? Ich habe nichts gesagt.« Gerlinde wurde sich bewusst, dass sie ihren Gedanken laut formuliert hatte.
»Doch, doch, das hast du«, flötete Eva. »Sag, an wen hast du gedacht?«
Auch Ursula war Gerlindes Blick gefolgt und hatte sofort das Objekt der Begierde entdeckt. Gerlinde schämte sich, ertappt worden zu sein.
»Du hast wohl ein kleines Geheimnis?«, stellte Ursula fest.
»Quatsch.«
»Na klar, du ärgerst dich nur, weil du es nicht einmal zehn Minuten geheim halten konntest«, stichelte Eva.
»Was tuschelt ihr denn da?«, fragte Marianne, die dem Treiben bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Sie war viel zu sehr mit dem Lesen der Speisekarte beschäftigt. »Lasst mich auch daran teilhaben.«
»Der gut aussehende junge Mann dort hinten sieht doch zum Anbeißen aus, oder?«, überwand Gerlinde schließlich ihre Scham.
»Was, das Kleine? Gerlinde, der hat doch keinen Stil. Der ist bloß versuchsweise geboren. Also wirklich.« Marianne widmete sich der gerade vorbeilaufenden Kellnerin. Sie bestellte für alle Pfifferlingcremesuppe und zum Hauptgang Rehrücken mit Selleriepüree.
»Meine Lieben, nun lasst uns endlich mal tüchtig auf Mariannes Freiheit anstoßen«, rief Ursula.
Die Freundinnen hoben ihre Gläser und schwelgten eine Weile lang in Erinnerungen an ihre Männer.
»Ah, da sind Sie ja wieder«, blaffte Ursula die Kellnerin an, die die Vorspeise auftrug. »Wurde auch Zeit, oder haben Sie die Pilze erst noch im Wald ernten müssen?«
»Ähm, nein, entschuldigen Sie bitte, die Küche bereitet alles frisch zu.«
»Na, wollen wir mal hoffen, dass das stimmt.«
»Warum nur musst du arme Mädchen wie dieses ständig so angehen?«, fragte Gerlinde.
»Angehen? Ich hör wohl nicht recht. Besser ich vergraule sie allesamt, bevor ich am Ende die Leidtragende bin. Oder muss ich euch daran erinnern, dass wir alle im selben Boot sitzen? Solche Mistkröten haben versucht, uns aus unseren Häusern zu drängen. Und du fragst, warum ich eklig zu ihnen bin? Ha, du bist gut.«
»Du hast doch nichts mehr zu befürchten. Dein Mann ist tot.«
»Das spielt keine Rolle. Ich kann und werde es Fritz niemals verzeihen, dass er mich mit so ziemlich jeder Dahergelaufenen betrogen hat.«
Gerlinde zog es vor, nichts mehr zu sagen, bevor Ursula noch auf die Idee kam, sie in den Fokus zu nehmen.
»Ich finde ja, du hast einen guten Geschmack.« Eva sah schmunzelnd zwischen Gerlinde und dem wirklich gut gebauten Mann hin und her. »Das ist übrigens Claas. Ein Freund meines Sohnes. Ich kann dir ja seine Nummer besorgen«, kicherte Eva. »Der Rest bleibt dann dein Geheimnis.«
»Das ist schamlos, was ihr da vorhabt«, seufzte Marianne.
»Ja, nicht wahr«, lachte Gerlinde. An Eva gewandt sagte sie: »Nur her mit der Nummer.«
17
»Ist das nicht herrlich hier? Schau doch mal, diese Aussicht!« Eva geriet bei dem Anblick der Weinberge ins Schwärmen. Das Ahrtal kannte Eva noch gut aus ihrer Kindheit. Ihre Großeltern waren nach Bad Neuenahr gezogen, als sie noch ein Kind war. Es war ein sehr schmerzlicher Abschied gewesen, waren ihre Großeltern doch wichtige Bezugspersonen gewesen.
Immer wieder hatte sie Zuflucht bei ihnen gesucht, wenn sie an der strengen Erziehung ihrer Eltern, vornehmlich der Mutter, zu zerbrechen drohte. Sooft es ging, besuchte Eva ihre Großeltern. Bei ihnen fühlte sie sich stets sicher und umsorgt.
Neben der Geborgenheit und der Glückseligkeit, die sie heute bei dem Gedanken an ihre Großeltern überkam – glückliche Stunden im Kurpark oder bei Spaziergängen entlang der Ahr, die unweigerlich in der Eisdiele in Ahrweiler endeten –, fühlte sie sich gleichermaßen unbehaglich, sobald sie an den Grund ihrer Besuche dachte.
Aber das lag weit in der Vergangenheit. Allerdings wunderte sich Eva über sich selbst, weil sie offensichtlich mit ihrer Kindheit noch immer nicht abgeschlossen hatte.
Das war jedoch nicht ungewöhnlich. Sie hatte schon von vielen Menschen gehört, dass aufgrund von äußerst strenger Erziehung manchmal ein
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