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Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot

Titel: Heinrich Mueller 04 - Gnadenbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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die vom ungewöhnlichen Anlass gehört oder das Schild auf dem Gehweg gelesen hatten: Es würden heute Figurenbrote gebacken als Wegzehrung für die Hexen auf ihrem Ritt in der Walpurgisnacht.
    ›Die 19. Historie sagt, wie Ulenspiegel zu Brunßwick sich verdingt zu einem Brotbäcker für ein Bäckerknecht und wie er Eulen und Merkatzen buch.
    Da nun Ulenspiegel wider gen Brunßwick kam, zu der Bäckerstuben, da wont ein Bäcker nach darbei. Der rüfft ihm in sein Huß und fragt ihn, was er für ein Geselle wär. Er sprach: »Ich bin ein Bäckerknecht.« Der Brotbäcker, der sprach: »Ich hab eben keinen Knecht. Wilt du mir dienen?« Ulenspiegel sagt ja.
    Als er nun zwen Tag bei ihm was gewesen, da hieß ihn der Bäcker bachen uff den Abent, denn er kunt ihm nit helffen bis an den Morgen. Ulenspiegel sprach: »Ja, waz sol ich aber bachen?« Der Bäcker waz ein schimpfig Mann und waz zornig und sprach in Spot: »Bist du ein Bäckknecht und fragst erst, waz du bachen solt? Waz pfligt man zu bachen? Eulen oder Merkatzen.« Und gieng damit schlaffen. Da gieng Ulenspiegel in die Bachstuben und macht die Deick zu eitel Eulen und Merkatzen, die Bachstub vol, und buch die. Der Meister stund des Morgens uff und wolt ihm helffen. Und da er in die Bachstuben kam, so fint er weder Weck noch Semlen, nur eitel Eulen und Merkatzen. Da ward der Meister zornig und sprach: »Wie der jar Rit, waz hast du gebachen?« Ulenspiegel sprach: »Das Ihr mich geheissen hon, Eulen und Merkatzen.« Der Back sprach: »Waz sol ich nun mit der Narei thun? Solich Brot ist mir niergen zunütz. Ich mag daz nit zu Gelt bringen!« Und ergreiff ihn bei dem Halß und sprach: »Bezal mir mein Deick!« Ulenspiegel sprach: »Ja, wann ich Euch den Deick bezal, sol dann die War mein sein, die davon gebachen ist?« Der Meister sprach: »Waz frag ich nach solicher War. Eulen und Merkatzen dienen mir nit uff meinen Laden.« Also bezalt er ihm sein Deick und nam die gebachnen Eulen und Merkatzen in ein Korb und trug sie uß dem Huß in die Herberg zu dem Wilden Man. Und Ulenspiegel gedacht in ihm selber: »Du hast offt gehört, man künd nüt so seltzems Dings geen Brunschwick bringen, man lößt Gelt daruß.« Und waz an der Zeit, das am andern Tag Sant-Niclaus-Abent was. Da gieng Ulenspiegel für die Kirchen ston mit seiner Kouffmanschafft und verkoufft die Eulen unnd Merkatzen alle unnd lößt vil mer Geltz daruß, dan er den Bäcker für den Deick het geben. Das ward dem Bäcker kuntgethon. Den verdroß es und lieff für Sant-Niclauß-Kirchen und wolt ihn anforderen umb das Holtz und für den Kosten, die Ding ze bachen. Da was Ulenspiegel erst hinweg mit dem Gelt und hat der Bäcker das Nachsehen.‹
    F. K. Swiss stieg, nachdem er die Geschichte aus der Originalausgabe von Dil Ulenspiegel aus dem Jahr 1511 vorgelesen hatte, die Treppe des Hinterausgangs hinunter, die ihm als Bühne gedient hatte, und beschwor die Anwesenden, ihre ganzen künstlerischen Fähigkeiten im Geiste dieses Narrentextes in die bevorstehende Arbeit zu stecken. Andreas Bohnenblust und Ruth Huber teilten nun den aufgegangenen Teig in gleichgroße Teile.
    »Ein jedes Brot verkörpert die Gedanken und Gefühle, die bei seiner Formgebung im Vordergrund stehen. Es ist ein Symbol für eine blutige Opferhandlung, folglich verdient es euren Respekt«, sprach er und begab sich zum Tisch im hinteren Teil des Raumes, wo eine Absinthe-Fontaine bereit stand, aus der Eiswasser in das grüne Destillat geträufelt wurde. Alle anderen hatten dem Traumförderer bereits zugesprochen und griffen nun nach einer Teigkugel.
    Ein Mann in knielangem, weißem Mantel schien mit seinem ebenso weißen Zylinder F. K. Swiss Konkurrenz zu machen. Wie ein Zeremonienmeister dirigierte er vermeintliche Freunde und zufällig Anwesende, eine Mischung aus Screaming Lord Sutch und Dr. John, und niemand war überrascht, als dessen ›Right Place Wrong Time‹ aus versteckten Lautsprechern schmetterte, ein Südstaaten-Blues, der die ohnehin schon herrschende Hitze der Backöfen mit der Gewitterschwüle subtropischen Sounds würzte. Der Mann griff ebenfalls einen Teigling und formte einen unscheinbaren, länglichen Gegenstand.
    Trotz des anschwellenden Lärms arbeiteten alle ruhig und konzentriert an der ungewohnten Aufgabe. Jene, die an komplizierten Figuren wie Menschen oder Tieren scheiterten, bildeten Ringe, Sonnen und Monde, erfanden geometrisch und physikalisch Unmögliches, schwebende Schiffe, Raketen auf Stelzen, Figuren,

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