Heinrich Mueller 05 - Mordswein
wahr.«
Müller schüttelte den Kopf. »Er fühlt sich in der Allgemeinheit nicht als Besonderer.«
»Mehr noch: Er erkennt das Allgemeine nicht an!«
»Und wie wollen wir ihn finden?«, fragte Heinrich.
»Wir müssen seiner gestalterischen Kraft Material geben, ihm sozusagen einen Köder hinlegen.«
»Ein weiteres Opfer riskieren?«
»Nein. Es muss neben den Menschen noch etwas anderes geben, das ihn interessiert. Wir haben es nur noch nicht gefunden.«
Der Albert-Anker-Weg in Biel war zum zweiten Mal das Ziel von Bernhard Spring und Heinrich Müller. Heute trugen sie einen Haussuchungsbeschluss mit sich, den der Untersuchungsrichter zögerlich ausgestellt hatte, nicht nur, weil Hubert Welsch ein Opfer, sondern auch, weil für die Spurensuche bereits viel Zeit seit der Tat vergangen war. Auch die beiden Berner wussten nicht, wonach sie eigentlich suchten.
Renate Welsch war denn auch mäßig begeistert, als der Störfahnder und der Detektiv vor der Tür standen. »Ich bin gerade dabei, die Papiere meines Mannes zu sichten. Ich habe eigentlich mit einer Lebensversicherung zu meinen Gunsten gerechnet. Nun stellt sich heraus, dass er seine Kollegen bevorzugt hat. Haben Sie davon gewusst?«
»Ja. Dazu wollten wir Sie noch befragen. Es war Ihnen also nicht bekannt?«
Frau Welsch heulte längst, die Stimmung kippte. »Ich weiß noch nicht einmal, ob ich das Haus halten kann«, sagte sie.
»Falls es sich herausstellt, dass seine Kollegen in den Mord verwickelt waren, wird mir dann das Geld ausbezahlt?«
»Sie möchten aber schon wissen, wer Ihren Mann …?«
»Klar. Aber im Moment geht es ums nackte Überleben. Das andere kann warten. Ich kann Herbert ja nicht zurückholen.«
»Vielleicht gibt es ein Detail, das uns weiterhelfen könnte«, versuchte es Müller, »und das Sie bisher verschwiegen haben?«
»Ich kann mir nichts vorstellen«, flüsterte sie und war wieder den Tränen nahe.
Spring und Müller begaben sich in Begleitung von Renate Welsch auf einen Rundgang durchs Haus, sie begutachteten Zimmer um Zimmer, ohne auf den ersten Blick etwas Untersuchenswertes zu bemerken. Im Büro überraschte sie eine Unmenge von Papieren, Ordnern und Ablagen. Dafür würden sie Tage brauchen.
»Ich habe bisher nichts gefunden, was einen solchen Tod, wie ihn mein Mann erleiden musste, rechtfertigen könnte«, sagte die Witwe.
Im Keller wiegelte sie sichtlich ab, als sie erklärte: »Rechts geht’s zur Garage, links zum Partykeller. Der ist abgeschlossen. Völlig durcheinander nach dem letzten Fest der Kinder.«
Es dauerte geraume Zeit, bis sie mit dem Schlüssel wieder auftauchte. Hinter der Tür erwartete die Berner eine Überraschung: Statt des angekündigten Durcheinanders fanden sie aufgeräumte Ordnung wie im restlichen Haus: Gestelle, Lagerboxen, Leuchtkästen.
»Was ist das denn?«, fragte Spring.
»Das ist die Pfahlbausammlung meines Mannes«, erklärte Renate Welsch kleinlaut.
»Und woher stammen die Gegenstände?«, wollte Heinrich Müller wissen. »Das ist ein Museum!«
»Hubert hatte sie aus verschiedenen Quellen«, sagte seine Witwe. »Meistens aus Privatsammlungen, die Ende des 19. Jahrhunderts angelegt worden sind. Die gehen unter der Hand weg. Vieles ist zerstört worden. Da hat Hubert doch einiges retten können.«
Die ewig gleiche Ausrede für das Privatisieren von Grabraub und Plünderung. Müller und Spring bestaunten die Fundstücke. Säuberlich in Reih und Glied erblickten sie Steinbeile in allen Größen, Schaber, Kratzer und Pfeilspitzen aus Feuerstein, Pfrieme und Nadeln aus Horn, ja sogar eine kleine geritzte Figur auf einem Elfenbeinstab überraschte sie sowie eine prähistorische Flöte.
»Pfahlbauer!«, erklärte der Detektiv.
»Ja?«
»Wolfsfalle … gepfählt … Wenn die Todesart etwas mit der Leidenschaft des Opfers zu tun hätte?«
Freitag, 6.8.2010
Goldenes Amarenenkirschrot leuchtete aus den Gläsern, in denen ein Oberkircher Spätburgunder Weißherbst Auslese 2003 aus dem Ortnauer Weinkeller funkelte.
»Dass die Deutschen immer so lange Namen für den Wein haben müssen«, mümmelte Leonie Kaltenrieder, als sie den ersten Schluck den Gaumen hinunterrollen ließ. »Süße rote Frucht in der Nase, Cranberrys und Kirschen im Mund, lieblich im Abgang.«
»Da halte ich es mit den Gefolgsleuten des altägyptischen Himmelsgottes Horus, deren Träume, wenn sie Wein tranken, positiv gedeutet werden im Sinne von: ›Das bedeutet, richtig zu leben‹«, erklärte Heinrich
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