Heinrich Mueller 05 - Mordswein
entweder mit der Prostitution oder mit der Suche nach sexueller Freizügigkeit.«
»Davon haben wir bestimmt nicht mehr zu bieten als andere Städte«, seufzte Spring, und man wusste nicht genau, ob er diesen Umstand bedauerte. »Was hältst du vom Zahlenrätsel?«
»Ich weiß nicht, ob man das als Gleichung lösen kann. Aber wir haben ja ›nur‹ zwei Opfer, oder sollten es bereits mehr sein, und wir wissen nichts davon? Gehen wir mal von den beiden aus. Zwei als Quersumme ergibt sich aus 11 oder 20. 2 mal 20 allerdings ergibt 40, plus die Verdächtigen, das ist bestimmt eine Zahl unter 50. Da fällt also 20 als Quersumme weg. Bleibt 11. Das ist die Quersumme von 47.«
»Also hätten wir 7 Verdächtige?«, fragte Spring. »Da soll einer draus schlau werden.«
»Ich glaube, der verarscht uns einfach und will, dass wir etwas zu tun haben. Oder er rechnet damit, dass wir auf 4711 kommen und jemanden finden, der dieses Parfüm benutzt?«
»Wenn er das Jahr 1147 meint?«
»Ich schau mal bei Wikipedia nach«, erklärte Müller, bevor er sich an Springs Computer heranmachte. »Puhh, etwa 100 Staatsoberhäupter, Hermann von Ortenburg, der spätere Gegenbischof von Gurk, wurde geboren, gestorben sind auch ein paar Leute, zum Beispiel Friedrich II. der Einäugige, der Vater von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, und es gab den sogenannten Wendenkreuzzug gegen die Ostslawen.«
»Toll«, sagte der Störfahnder in schlaffer Begeisterung.
»Ich sag ja: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme!«
»Also: 47«, wiederholte Spring.
»Das ist einfach nur eine Zahl.«
»Nichts ist ›einfach nur eine Zahl‹!«
»Hör bloß auf«, meinte Müller. »Ich kann nicht mit Leuten, die hinter den Dingen immer eine verborgene Bedeutung sehen und sie nicht als das anschauen, was sie sind.«
»Aber es ist der Hinweis eines Mörders. Und muss deshalb etwas bedeuten.«
»Wie gesagt: Dass er uns verarscht«, wiederholte der Detektiv.
»Nichts ist ›einfach nur eine Zahl‹«, nörgelte Spring, »wenn man sie mit Blut auf den nackten Bauch einer toten Frau schreibt.«
Müller sprang vom Computerstuhl auf. »Wo hast du denn das gesehen? Du hast mir gar nichts davon mitgeteilt.«
»Nun beruhige dich wieder. Das gibt es nicht real, sondern virtuell über den Textausschnitt aus der Erzählung von Lesclide.«
»Weiter hergeholt geht wohl nicht«, seufzte Heinrich.
»Es gibt«, begann Bernhard, »unterschiedliche Möglichkeiten, mit der Wirklichkeit umzugehen. Für die einen ist sie eine zielgerichtete Abfolge, eine Reihe von Ereignissen, deren Entwicklung keinen Widerspruch duldet. Falls es doch einen gibt, schlägt er eine Unterscheidung vor, die den Widerspruch auflöst.«
»Zum Beispiel zwei unterschiedliche Zeugenaussagen, die gegeneinander abgewogen werden durch die Glaubwürdigkeit der Zeugen.«
»Oder die genaue Untersuchung von Beweismitteln«, fuhr der Störfahnder fort. »Die andern hingegen finden abschließende Wahrheiten eher hinderlich beim Denken. Sie sehen eine Reihe von Ereignissen nicht als zielgerichtet, sondern als eine Ablösung des einen durch ein anderes.«
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte Müller.
»Ein Täter macht nicht dort weiter, wo er das letzte Mal aufgehört hat, weil er ein bestimmtes Ziel verfolgte. Er schafft eine neue Situation, welche die erste ablöst. Er erfindet sich neu.«
»Das heißt, er beginnt immer von vorn. Er könnte sich also auch wiederholen …«
»… und hätte dennoch den Eindruck einer neuen Erfahrung, denn die Situationen und Personen ähneln sich möglicherweise, aber der Anlass ist ein anderer.«
»Und uns unbekannt«, ergänzte Müller. »Er will also nicht den Widerspruch zwischen erwünschtem und nicht erwünschtem Verhalten auflösen, sondern er hat den Eindruck, er erfinde sich jedes Mal neu.«
»Genau. Er sieht sich als Künstler, nicht als Handwerker …«
»… und will seine Kunst vervollkommnen …«
»… und genießen.«
Müller fasste zusammen: »Wir suchen also nicht den dumpfen Wiederholungstäter, sondern den sensiblen Kreativen, der sozusagen das falsche Material für seine künstlerische Tätigkeit benutzt.«
»Er wird den meisten also nicht auffallen«, schloss der Störfahnder. »Er braucht sich noch nicht einmal zu verstecken. Wenn die Presse von ›die Toten‹ und ›der Täter‹ spricht, fühlt er weder sich selbst noch seine Opfer gemeint, da er dieser allgemeinen Kategorie nichts abgewinnen kann. Er nimmt sie als Verschwörungstheorie
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