Heinrich Spoerl
reine Wahrheit gesagt –
Zeugin: Jawohl.
Richter: Sie sollen nachsprechen: Die – reine – Wahrheit – gesagt –
Zeugin (dem Weinen nahe): Die – reine – Wahrheit – gesagt –
Richter: Und nichts verschwiegen habe. Zeugin: Nein, hab ich auch nicht.
Richter (außer Fassung): Sie sollen stumpfsinnig nachsprechen: Und – nichts – verschwiegen – habe.
Zeugin (wie ein Schulkind plappernd): Und – nichts – verschwiegen – habe.
Richter (läßt sich erschöpft in den Stuhl fallen): Gott sei Dank!
Zeugin (immer noch nachsprechend und mit erhobener Schwurhand): Gott – sei – Dank.
Der ritterliche Zeuge. Ob er mit der Beklagten in unerlaubten Beziehungen gestanden habe? Er umfängt die schöne Frau mit einem flammenden Blick und schlägt die Hacken zusammen: »Bedaure – nein.«
Der ideale Zeuge. Er ist weder wichtig noch ängstlich, weder fesch noch minderbemittelt, weder galant noch künstlerisch. Er ist nur Wahrheit. Er hat im stillen Kämmerlein sein Gedächtnis durchforscht. Er weiß genau, was er weiß und nicht weiß. Er ist ohne Falsch und Fehle. Auf seine Aussage kann man Häuser, Welten bauen.
Er hat nur einen Fehler: Ihn gibt es nicht.
Der gute Ton am Telephon
Zunächst bitte ich wegen des Fremdwortes um Verzeihung. »Fernsprecher« erinnert an Amt und an Rechnung; das Wort klingt rauh und rasselt. »Telephon« schmilzt auf der Zunge, duftet nach Konditorei und Ausflug.
Als Reis im Jahre achtzehnhundertsechzig die Menschheit mit dem Telephon beglückte, war der gute Ton in allen Lebenslagen längst erfunden und fertig gestellt. Für das Telephon war kein Platz. Ein Nachtrag ist nicht erschienen. Das Telephon war Parvenu und durfte sich danach benehmen.
Und tut es heute noch.
Kein Mensch von primitivster Bildung würde es wagen, uns während des Mittagessens oder am späten Abend oder frühmorgens zu nachtschlafender Stunde heimzusuchen. Aber für zehn Pfennige Fernsprecher – hier ist das unfreundliche Wort am Platz – hat jeder Zeitgenosse das Recht, zu jeder Zeit und Unzeit in unser Privatleben einzudringen und uns beim Wickel zu fassen. Der telephonische Besucher wird zu jeder Stunde und auf der Stelle vorgelassen.
Vielleicht ist die Technik daran schuld. Man kann ein Telephon nicht abstellen. Das Aushängen des Hörers ist verboten. Man könnte sich taub stellen, aber das tut man nicht. Wenn man ausgeht oder verreist, weiß man, daß telephonische Anrufe ungehört verhallen. Aber solange man zu Hause ist, unterliegt man der Suggestion der Klingel, als wenn man fürchtet, das große Los ginge einem laufen.
Man könnte die unzeitgemäßen Störer erziehen. Man könnte dem mittäglichen Anrufer antworten: Nein, ich bin es nicht, ich bin ausgegangen und außerdem schlafe ich, in einer halben Stunde bin ich zurück und wach. Das würde helfen. Aber man tut es nicht. Man hat keinen Mut.
Ein Besucher nennt zunächst seinen Namen und erst dann sein Begehr. Namenlose Besucher werden nicht vorgelassen; man weiß, sie verkaufen Teppiche oder kommen mit einer Quittung. Am Telephon geht es umgekehrt. Der Anrufer – man kann ihn nicht einmal sehen – will zunächst wissen, ob ich zu Hause bin. Vorstellen tut er sich später. Vielleicht überhaupt nicht. Manche sagen statt dessen »hallo«. Gegen die Hallo-Schreier gibt es ein gutes Mittel: Man hallot zurück. Und beantwortet alles Weitere mit dem gleichen hartnäckigen Hallo. So lange, bis der andere explodiert oder eine Sachbeschädigung begeht. Es kann einem nichts dabei passieren. So kann man Hallo-Leute kurieren. Aber man tut es nicht. Man hat keinen Mut.
Auch am Telephon gibt es »Lautsprecher«. Manchmal ist es Verkennung der Technik; sie schreien, daß man sie auch ohne Telephon hören könnte. Manchmal ist es Tapferkeit. Es gibt eine spezielle Telephoncourage. Im Dunkel der Unsichtbarkeit, geschützt durch die Länge des Drahtes, sagt man, was man sonst nicht sagen würde. Mittel: Einhängen.
Schlimmer sind die Langsprecher. Sie sind meist weiblichen Geschlechts und zum Einhängen nicht geeignet. Außerdem würden sie neu anrufen; immer wieder; bezahlen tut es der Gatte. Mittel: Aushalten. Man kann es sich bequem machen. Ich lege in solchen Fällen den Hörer auf den Tisch und fahre in meiner Konferenz fort oder was ich sonst gerade habe. Alle fünf Minuten nehme ich den Hörer auf und spreche: Aber gewiß, gnädige Frau, vollkommen Ihrer Meinung, es ist wirklich un-er-hört! Bis nach einer halben
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