Heinrich Spoerl
freute sich schon auf das Schweigegeld, und wir kamen uns furchtbar verboten vor. Als nach zwei Tagen unsere erste Post kam, war der Spuk vorbei, und nun behandelte man uns hochachtungsvoll, aber ohne Staunen. Das Staunen war auf unserer Seite, als am Abend unter unserem Zimmer die Hauskapelle loslegte.
Ist das immer?
Nee. Nicht immer. Bloß am Abend.
Jeden Abend?
Nee. Nich jeden. Bloß sonntags. Und Dienstag. Und Donnerstag. Und natürlich Sonnabend. Manchmal auch Mittwoch. Sonst ist nur Radio.
Es war gut so. Man muß sich in der Sommerfrische abhärten. Auch mit den Ohren. Sonst erträgt man später die Großstadt nicht.
Man muß das richtig machen.
***
Die wichtigsten Kurmittel sind Barometer und Ansichtskarten.
Die Ansichtskarten dienen der geistigen Bewegung. Man hat vierzehn Bekannte. Jeder muß eine andere Karte bekommen, und jedem muß man etwas anderes schreiben. Köpfchen, Köpfchen! Man muß? Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Vierzehn gegenseitig zueinander laufen und Text und Ansicht vergleichen. Ich bin nicht dumm genug, mir die schönsten Augen- und Fernblicke zu verschreiben. Ich wähle die imposanteste Karte, vierzehnmal dieselbe, und schreibe darauf den konfektionierten Einheitstext, vierzehnmal am laufenden Band. Es geht schnell und ohne geistige Unkosten, und keiner kann auf den anderen neidisch sein. Das Barometer dient dem Wetter. Die Barometer der Kurorte sind Optimisten. Sie haben Anweisung von der Direktion. Bei gutem Wetter stehen sie aberwitzig hoch, dort, wo schon keine Schrift mehr ist, und wenn es stürmt und gießt, gehen sie tiefstens bis Schönwetter. Jeder Vorübergehende fühlt sich verpflichtet, daran zu klopfen; dem Wetter ist das gleichgültig, aber das Barometer wird meschugge davon.
Ein besserer Wetterprophet ist das Gasthausessen. Es ist umgekehrt proportional dem Wetter. Bei freundlicher Sonne ist Essen Nebensache, der Wirt kann daran ungestraft sparen. Wenn aber üppige Filets und schneeige Hühnerbrüste erscheinen mit überwältigenden Süßspeisen, dann, o Freund, drohen Regen und Abreise.
***
Man muß es richtig machen. Natürlich will man sparen. Auch in der Sommerfrische. Sonst würde man nach Lugano gehen. Nur ein gutes Bett muß man haben. Auch wenn es ein paar Groschen mehr kostet. Wer nicht schläft, hat keine Erholung, und wenn man sich künstliche Bettschwere besorgt, wird es noch teurer und ist nicht kurgemäß.
Allerdings muß man auch ein vernünftiges Zimmer haben. Selbst wenn es ein paar Groschen mehr kostet. Im Zimmer verbringt man einschließlich Schlafen die Hälfte seiner Zeit. In einer armselig stickigen Bude kann man nicht gedeihen.
Und ordentlich essen muss man natürlich erst recht. Auch wenn es ein paar Groschen mehr kostet. Man will kein Fett ansetzen, aber man will auch nicht hungern und von Kräften kommen.
Und dann der schöne Durst! Man muß ihn ausnutzen. Auch wenn es ein paar Groschen mehr kostet. Quellwasser ist poetisch, aber ich trinke es lieber verarbeitet als Kaffee oder Bier. Oder durch den Leib der Pflanze gegangen als Wein. Dann ist es ohne Bazillen, und ich muß mich doch meiner Familie erhalten. So gleichen sich Sommer und Winter aus: Im Winter kostet die Heizung, im Sommer der Durst.
Und schließlich darf man auch nicht mit den Trinkgeldern knausern. Selbst wenn es ein paar Groschen mehr kostet. Man läßt sich nicht lumpen und will freundliche Gesichter sehen. Auch das gehört zur Kur.
Es kostet alles nur ein paar Groschen mehr. Hier und dort und überall. Der Voranschlag wird heftig überschritten. Man kann es auch vorher mit einkalkulieren. Aber dann kostet es trotzdem wieder ein paar Groschen mehr. Für alles muß man zahlen. Auch Herrn Goethe ist das aufgefallen:
Mann mit zugeknöpften Taschen,
Dir tut keiner was zulieb.
Hand wird nur von Hand gewaschen;
Wenn du nehmen willst, so gib.
Die Neunmalklugen bleiben zu Hause. Sie lassen alles um sich herum wegfahren und sind Herr der großen, leeren Städte. Sie werden nicht durch frühzeitige Hühner geweckt, sie brauchen nicht aufzustehen und auf keinen Berg und in kein Freibad, sie brauchen keine Pilze zu sammeln, noch die gesammelten zu essen, sie brauchen nicht ins Café Lämmerzahl zum Flirten noch ins Schwarzwaldhotel zum Ballontanz. Sie brauchen gar nichts, und wenn schlechtes Wetter kommt, denken sie an die anderen und mästen sich an Schadenfreude. Sie finden keine Fliege in der Suppe, keine Wochenrechnung unter dem Teller, sie können jeden Abend
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