Heinrich Spoerl
verlängern.
Damit habe ich die Entschuldigung, daß ich kein Frühaufsteher bin.
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Die meisten Menschen fühlen sich verpflichtet, beim Schlafen zu träumen. Vielleicht weil schlafen sonst zu uninteressant wäre. Vielleicht weil der phantastische Unsinn des Traumes ein notwendiges Gegengewicht zu unserem logisch geordneten Wachleben ist.
Leider gibt es keine lenkbaren Träume. Man kann sich allenfalls mit später Hummermayonnaise Alpdrücken und Gruseln verschreiben; aber im übrigen muß man annehmen, was kommt. Übrigens eine merkwürdige Feststellung, die ich durch Rundfrage bestätigt finde: Alles mögliche tut man im Traum, laufen, schreien, regieren, kämpfen. Nur Lachen tut man nicht. Sind wir im inneren Kern so tierisch ernst? Oder verlangt Lachen ein Minimum an Verstandestätigkeit, die im Traum fehlt?
Wozu träumt man überhaupt? Um zu tun, wozu man keinen Mut hat; um zu erleben, wozu die Möglichkeit fehlt? Im Traum darf man die schönsten Frauen küssen, sie können sich nicht wehren. Im Traum kann man seinen Todfeind eins in die Fresse hauen, man kommt nicht vor den Schiedsmann. Im Traum ist alles erlaubt und straffrei. Man sollte tüchtig davon Gebrauch machen.
Eine besonders feine Sache sind die Halbwach-Träume. Die wenigsten Menschen springen beim Wecken wie eine Rakete in die Luft. Meist hat man noch ein paar Minuten und räkelt sich langsam wach. In diesem Dämmerdusel hat man mitunter unglaubliche Gedanken, macht welterschütternde Erfindungen, prägt unsterbliche Formulierungen, entwirft gigantische Pläne; man löst Welträtsel mit dem kleinen Finger. Wenn man dann aus Freude darüber vollwach wird und hochspringt, dann ist zweierlei: Entweder hat man den enormen Einfall spurlos vergessen und trauert um die Welt, der ein Genieblitz verloren ging. Oder man kriegt die Sache noch zusammen, fasst sich an den Kopf und stellt fest, daß es ein gottverbotener Blödsinn war, irgendeine sinnlose Wortkette, etwa nach der Art: Die Halbhaftigkeit der Sirene wurzelt in der Armlänge der modernen Wasserkante.
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Ich bin kein Spezialist im Träumen. Da ich es tagsüber ausreichend tue, habe ich Nachts keinen Bedarf. Außerdem keine Zeit. Nachts will ich meine Ruh haben.
Nur manchmal kommt es vor, daß ich mit meinem Sohn wieder auf die Schule gehe und mir von ihm vorsagen lasse. Weil ich doch alles vergessen habe. Vergessen habe ich außerdem mein Geschichtsbuch, und da nutzt sein Vorsagen nichts, und ich habe Angst; aber nicht sehr, denn ich weiß, mir kann nicht viel passieren; wenn es mir zu dumm kommt, kann ich jederzeit aufstehen und sagen: Was wollt ihr überhaupt, ich habe längst Abitur und Doktor und alles mögliche, und außerdem ist das alles nur geträumt.
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Überhaupt glaube ich nicht an Traumdeutung. Warum soll man im Schlafen klüger sein als im Wachen? Besser vielleicht und tugendsamer – aber wissender?
Als humoristische Lektüre allerdings sind Traumbücher noch nicht genügend gewürdigt. Ich besitze ihrer zwei, ein garantiert echt türkisch-ägyptisch-assyrisch-orientales mit viel Gold und Arabesken und schwülstigen Bildern, und ein nüchtern modernes von La-Marie für die Aufgeklärten, die zeitgemäß von Autopannen und Völkerbund und Jazzmusik und Maschinengewehr träumen. Manche Deutungen sind geradezu imponierend; ich gebe eine Auslese, auf mein Wort wortwörtlich.
Aktiengesellschaft: Du wirst die trübe Entdeckung machen, daß du jemanden nicht allein liebst.
Alimente: Große Unannehmlichkeit.
Atelier: Du verdienst mit wenig Arbeit viel Geld.
Butter: Du willst etwas verheimlichen, es kommt aber heraus.
Einbruch: Du erlebst ein Liebesabenteuer.
Finanzamt: Dauernde Belästigung.
Hotel: Du bist gezwungen, deine Liebe vor andern zu verbergen.
Scheck: Du kannst dich auf eine Enttäuschung gefaßt machen. (Klar, denn geträumte Schecks werden von keiner Bank eingelöst.)
Schlafzimmer: Einer deiner geheimsten Wünsche geht in Erfüllung.
Wahrsagerin: Man bestiehlt dich.
Steckkontakt: Du suchst Anschluss.
Lippenstift: Du wirst eine Frau küssen, und der Kuss wird nicht ohne Folge bleiben.
Nun versuche ich seit Wochen von einem Lippenstift zu träumen, oder wenigstens von einer Steckdose. Es gelingt mir nicht, und so bleibe ich ohne Kuss und Kontakt.
Hilfe – Musik
Ich ging durch eine Gasse, stand zwischen bröckelnden Mauern und schiefen Häusern. Von irgendwoher sang eine Mädchenstimme. Kein flaches Geplärr oder sentimentales Gejaule; es war ein
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