Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ADMIN JR.
Vom Netzwerk:
gewesen ist, verblasst und ist schließlich gar nicht mehr wahr.
    Eines Tages bekam ich einen Brief. Privat. Damenhandschrift: Lieber Freund Henner! Bezugnehmend auf unsere schön verlebte Zeit in Marburg erlaube ich mir anzufragen, ob wir uns nicht einmal treffen und unsere Erinnerungen austauschen könnten. Hochachtungsvoll und mit freundlichem Gruß Johanna Kullmann, geborene Binder. Links oben ein ovaler Gummistempel: Kullmanns neuzeitliche Heißmangel und Kragenwäscherei.
    Es hatte schon seine Richtigkeit. In Marburg war ich einmal gewesen, damals vor fünfundzwanzig Jahren, und habe mich dort »studienhalber« aufgehalten, wie es auf dem rosafarbenen Ausweis vorsichtig hieß. Und rosafarben war das alles damals, wenn auch jetzt im Gedächtnis ein wenig verblasst und verschossen. Nur die kleine Hanna Binder leuchtete kastanienrot, mit ein paar koketten Sommersprößlein; ein bisschen mollig, glaube ich, war sie auch und aß furchtbar gern Pflaumenkuchen, aber das kann auch eine Verwechslung sein, und dann war sie – ja was war dann noch? Es ist schon lange her.
    Ich wußte nicht, was ich tun sollte und befragte den kleinen Familienrat. Meine Frau meinte, ich müsse hinfahren, das sei man als anständiger Mensch einer Jugendliebe schuldig, und wir wären doch wohl im Guten auseinander gegangen. Mein Sohn dagegen zeigte sich durchaus unromantisch; das wäre viel zu lange her und überhaupt ein ausgemachter Quatsch und sähe mir ganz ähnlich. Zufolge dieser Stimmengleichheit berief ich den großen Familienrat. Er besteht aus meinem Schwiegervater und ist die letzte Instanz unserer Sippe. Er schmunzelte, schüttelte aber innerlich den Kopf, und da er weiß, daß ich immer das Gegenteil tue, sagte er mir, ich müsse fahren.
    Infolgedessen – fuhr ich trotzdem hin.
    Ich überlegte, daß die fünfundzwanzig Jahre mich immerhin etwas gestreift haben konnten, holte meine hellste Hose, mein grünstes Sakko, meinen schmälsten Querbinder hervor und ging jung und westenlos. Auch das Haar ließ ich mir schneiden, und meine Frau drückte mir noch ein artiges Blumensträußchen in die Hand, das sie aus blauen Kornblumen und weißen Margueriten zusammengestellt hatte, damit es nicht wie das Bukett eines Liebhabers, sondern wie der Strauß eines Freundes aussähe. In der Bahn präparierte ich, überlegte Reden und Verhalten und versetzte mich in die angemessene Stimmung. Die gute kleine Hanna. Daß sie immer noch an mich denkt!
    Wir wollten uns auf halbem Wege auf einer Station treffen, in einem kleinen Café. Es war keineswegs die vielbesungene kleine Konditorei, sondern eine müde, nüchterne Bude, die offenbar vom Sonntagsbetrieb lebt; sie war leer, bis auf eine alte Frau, die in einer Ecke saß und wohl die Besitzerin sein mochte.
    Ich mußte warten. Man tut es gern für eine Jugendliebe. Schließlich wurde es mir zu dumm, ihr Zug mußte längst gekommen sein. Als ich ging, wurde die alte Frau lebendig, erhob sich schwerfällig und trat auf mich zu. – Ob ich es wäre?
    Ich wollte schnell nein sagen, aber es gelang mir nicht mehr. Wir sahen uns an. Das Erstaunen war durchaus beiderseitig, und doch war alles ganz selbstverständlich. Das Erinnerungsbild verblasst, aber geht nicht mit der Zeit und zerreißt jäh an der Wirklichkeit.
    Wir setzten uns und versuchten, ein Gespräch zusammenzubringen. Da entstand das erste Hindernis. Ich wußte nicht recht, ob ich die würdige Frau in dem gutsituierten Seidenkleid duzen oder siezen sollte und überließ ihr die Entscheidung. Sie wußte es auch nicht, und so stotterten wir im Kreise um die Anrede herum.
    »Sind – wenn ich fragen darf: Verheiratet?«
    »Seit vierzehn Jahren. – Bist – darf ich die gleiche Frage meinerseits stellen?«
    So würgte sich das Gespräch eine Zeitlang. Schließlich rutschte ich aus und sagte »Sie« und verbesserte mich in ›Du‹. Sie griff es auf, und nun konnten wir uns wenigstens in Ruhe unseren Personalstand abfragen. Aber mir wurde nicht wohler dabei. Was habe ich mit dieser alten, vom Leben verhärteten Frau zu tun? Daß sie identisch ist mit der kleinen lustigen Marburger Hanna, mag ja richtig sein, aber der Augenschein lehrt das Gegenteil. Sie sieht beim Sprechen an mir vorbei, und ich fühle, daß sie genau so denkt.
    Ich lenke das Gespräch auf Marburg. Deswegen sind wir zusammengekommen. Dort hatten sich unsere Lebenswege kurz, aber erfreulich geschnitten, hier mussten wir Gemeinsamkeiten finden.
    Wir fanden sie nicht. Unsere

Weitere Kostenlose Bücher