Heinrich Spoerl
weiter.
Hedwig dagegen ist wie ein Gletscher. »Sie wünschen?«
»Oh, ich bin sehr traurig –«
»Sie wissen, daß ich nicht mehr singe.«
Faletti spricht mit beiden Händen gleichzeitig. Er ist nicht wegen des Singens gekommen. Aber er gestattet sich, der gnädigen Frau eine Kleinigkeit zu Füßen zu legen. Auf dem Arm hält er ein wurstförmiges Etwas. Er setzt es wie ein Spielzeug auf den Boden, und es fängt an zu laufen, wuschelt auf lächerlich breiten Pfoten kreuz und quer durchs Zimmer, fällt über die eigenen, viel zu kurzen Beinchen und kullert über den weichen Teppich. Kempenich ist hingerissen von dem putzigen Dackelbaby, rutscht auf allen vieren durchs Zimmer und streichelt ihm das viel zu weite Fell und die faltige Philosophenstirn. Am liebsten möchte er mit ihm unters Sofa kriechen. Faletti weiß, warum er sich einen Dackel als Sühnegabe ausgesucht hat. Einem Dackel kann man nicht widerstehen.
Hedwig widersteht. Sie unterdrückt ihr Entzücken und bleibt eisig. »Nehmen Sie das Tier wieder mit. Wir möchten nicht, daß Sie uns einen Hund schenken. Wenn wir einen Hund wünschen, werden wir uns selbt einen besorgen.«
Kempenich steht langsam auf und weiß nicht, was er sagen soll. Es ist nicht recht, daß Hedwig ihre schlechte Laune am armen Faletti ausläßt. Er möchte gerne vermitteln, aber er wagt es nicht. Es ist besser, Hedwig nach dem Munde zu reden; er hat das jetzt sehr nötig.
Inzwischen bereitet Hedwig dem liebenswürdigen Besuch ein schnelles Ende. »Wir möchten Sie nicht länger aufhalten –«
»Ganz meine Meinung, ganz meine Meinung«, bestätigte Kempenich beflissen und öffnet die Tür. »Und wenn Sie noch etwas wünschen sollten, bitte ich, das schriftlich einzureichen.«
Das hat er schön gemacht.
Sie sind allein. Kempenich ist jetzt gefaßt. Hedwig wollte mit ihm reden. Nun mag sie anfangen.
Sie fängt nicht an. Sie muß an Koblenz denken und an Faletti, und das verschlägt ihr den Mut. Mag ihr Mann anfangen.
So fängt keiner an.
Um sieben Uhr kommt die Maria mit dem Abendessen.
Hedwig sagt: »Mein Mann ist heute sehr abgespannt und möchte allein essen. Du kannst ihm im Herrenzimmer auftragen. Auch die nächsten Tage.«
Kempenich sagt: »Maria, ich schlafe neuerdings etwas unruhig, das stört meine Frau. Du kannst mir mein Bett im Herrenzimmer aufschlagen. Bis auf weiteres.«
Als Kempenich sich in sein Herrenzimmer zurückziehen wollte, trat er auf etwas Weiches, und dies Weiche gab einen piepsenden Laut von sich. Es war der kleine Dackel, an den niemand mehr gedacht hatte. Kempenich nahm das frierende Tierchen an sich und barg es unter seinem Rock. Jetzt hatte er einen Gefährten für seine Verbannung.
***
Tagsüber war es einigermaßen auszuhalten. Er schlief morgens etwas länger, um einen Grund zu haben, das einsame Frühstück im Stehen herunterzuschlingen. Im Dienst machte er sich künstlich Arbeit und stürmte gleich nach Tisch wieder ins Büro.
Aber dann kamen die langen, einspännigen Abende. Er hätte nach der geheiligten Tradition schmollender Ehemänner ins Wirtshaus gehen können. Aber das lehnte er ab; er wollte nicht sein wie andere. So saß er Abend für Abend in seinem Herrenzimmer, das ihm zu einem Elba geworden war, bekam sein Essen auf einer Serviette am Schreibtisch gedeckt und stierte auf sein einsames Bett, das lieblos zwischen Schreibtisch und Bücherschrank aufgestellt war und sein stolzes Herrenzimmer zu einer stillosen Junggesellenbude erniedrigte. Manchmal ließ er sich eine Flasche Wein auftragen, aber sie schmeckte ihm sauer. Und sein Abendessen teilte er mit Anton.
Anton war der einzige, dem er sein Herz ausschütten konnte. Anton hörte geduldig zu und stellte keine taktlosen Fragen. Und bei Anton waren alle Geheimnisse gut aufgehoben. Anton würde niemals etwas weitererzählen.
Schade, daß Anton in anderer Hinsicht weniger dicht hielt. Um es geradeheraus zu sagen: Anton war noch nicht stubenrein. Bei einem Dackel von acht Wochen kann man das nicht verlangen. Die Maria mußte sehr häufig kommen und seine Missetaten beseitigen. Sie tat es mit viel Liebe und so emsig, daß Anton gar nicht so schnell mitkommen konnte.
Den Namen Anton hatte Kempenich nach viertägigem Grübeln erfunden und war stolz darauf. Anton hatte ihn schnell kapiert. Bei jedem anderen Wort horchte er auf und kam angetrappelt. Nur wenn man »Anton« rief, guckte er weg und stellte sich abwesend.
Hedwig hatte keinen Anton. Sie saß bei der Maria in der
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