Heinrich Spoerl
willst du dir das vielleicht gefallen lassen? – Du mußt es ja wissen.«
Gefallen lassen? Nein. Aber an Scheidung hatte sie noch nicht gedacht. Muß man das wirklich?
Dann huschte Selma zu Christian.
Anton empfing sie mit einem bösartigen quiekenden Bellen und fuhr ihr kurzerhand an die Hausmacherstrümpfe. Es war das erstemal, daß Anton solch feindselige Haltung zeigte. Kempenich wieherte vor Vergnügen. Aber nur ganz innen. Und Tante Selma begann fürderhin jeden Besuch mit den Worten: ›Tu erst das Biest raus.‹
Für Kempenich bezeugte sie mütterliche Fürsorge. Sie kontrollierte, ob sein Bett gut gemacht war, erkundigte sich, ob er gut zu essen bekomme, und war erbost, daß an beidem nichts auszusetzen war.
»Nein, daß du das aushältst!«
»Ich kann es nicht ändern.«
»Du mußt es ja wissen. Ich würde mir das nicht bieten lassen.«
»Was sagt denn Hedwig?«
»Die will sich natürlich scheiden lassen. Ich kann sie nicht davon abbringen.«
So lief sie von einem zum andern und redete so und redete so. In ihrem Eifer merkte sie nicht einmal: Je wilder sie den guten Kempenich verdächtigte, um so mehr nahm Hedwig ihn in Schutz. Zunächst nur nach außen. Aber dann kamen ihr doch leise Zweifel. Vielleicht tat sie ihm Unrecht. Sie wünschte es sogar. Aber das dürfte sie nicht zugeben, nicht einmal vor sich selbst. Auf jeden Fall hatte der Ehekrieg den Reiz der Neuheit verloren, und sie wäre nicht abgeneigt, bei gegebener Gelegenheit einen süßen, sanften, aber ehrenhaften Frieden zu schließen. Jemand müßte vermitteln. Bekannte kamen nicht in Frage. Blieb die Tante. Sie bemüht sich ja so rührend.
Nach einigen Anläufen bringt Hedwig es heraus: »Liebe Selma, willst du nicht mal mit Christian reden? Es ist vielleicht halb so schlimm, und wenn ich recht überlege, warum soll er in Köln nicht mal im Hotel schlafen?«
»Mit seiner ›und Frau‹?«
»Das ist vielleicht ein Schreibfehler.«
»O ja, ein niedlicher blonder Schreibfehler. Aber du mußt es ja wissen.«
Tante Selma schlurft zu Kempenich. »Wie geht es, Christian?«
»Schlecht. Was macht Hedwig?« – »Nichts.«
»Hör' mal, Selma, das kann so nicht weitergehen. Willst du nicht ein vernünftiges Wort mit Hedwig sprechen?«
»Das habe ich schon. Sie sagt, du hättest dir einen niedlichen blonden Schreibfehler mit ins Hotel genommen. – Ich glaube, sie will zum Anwalt.«
Nachdem sie sich von der Wirkung ihrer Worte überzeugt hatte, zog sie ab.
In Kempenich aber reifte an diesem Abend ein Gedanke. Unermüdlich wie ein Löwe im Käfig lief er im Zimmer hin und her und dachte und grübelte, daß ihm die Funken aus der Stirn sprangen. In der Not der Stunde wurde sein Kopf immer klarer und schärfer, und plötzlich erstand daraus eine Idee, so fein und klug und einleuchtend, daß er geradezu Hochachtung vor sich bekam. Ich habe doch ein feines Köpfchen, dachte er, wenn es auch manchmal etwas länger dauert. Er schritt mit gespreizten Fingern durchs Zimmer und wagte kaum zu atmen.
Dann schrieb er einen kurzen, schicksalschweren Brief. Einen Brief an Meister Faletti:
In einer wichtigen Angelegenheit erwarte ich Sie morgen Abend um sechs Uhr in der Traube.
Das Wort ›wichtigen‹ unterstrich er mit dem Lineal.
***
Am nächsten Tag, Glockenschlag sechs, setzt sich Kempenich in die Traube.
Er ist einziger Gast und fühlt sich vom Kellner beobachtet, der in einer Ecke steht und Zeitung liest. Kempenich zieht in immer kürzeren Abständen die Uhr, schiebt auf dem weißgescheuerten Tisch Bierfilze hin und her, spielt mit dem Senflöffel Waage, er kippt, und ein dicker Klacks fällt auf den Tisch.
Mit einer kleinen künstlerischen Verspätung erscheint Faletti. Er ist ernst und befangen. Der geheimnisvolle Brief mit dem unterstrichenen ›wichtig‹ sitzt ihm quer. Gegen Wichtigkeiten hat er eine angeborene Abneigung. Er ahnt, daß eine Angelegenheit, die er aus seinem Gedächtnis ausgewischt hat, damit noch keineswegs aus der Welt ist, und begrüßt den Kanzleivorsteher mit betonter Zurückhaltung. Seine Stimme geht wie auf Filz, und er weiß nicht, ob er stehenbleiben oder Platz nehmen soll. Kempenich ist nicht minder befangen. Er ist es immer, wenn er von jemandem eine Gefälligkeit erbittet. Außerdem beirrt es ihn, statt des Künstlers und Windhundes einen durchaus zugeknöpften seriösen Mann vor sich zu sehen.
So sitzen sich die beiden Männer gegenüber, erfüllt von gegenseitigem Respekt und Mißtrauen, trinken aus
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