Heinrich Spoerl
Oberpostrat?«
»Nicht viel«, seufzt der alte Herr, »Termine, Schriftsätze, Vertagungen, wie das so ist.«
»Nun lassen Sie mal den Kopf nicht hängen. Und was meint denn Ihr Anwalt?«
»Der war anfangs sehr begeistert und hat mir zugeredet. Aber jetzt auf einmal sagt er, man muß abwarten, es käme immer auf die Auffassung des Richters an.«
»Wenn die Herren schon so anfangen, das kennt man! Aber das habe ich Ihnen ja gleich gesagt, da kommen Sie nicht mit durch; wenn man aus jedem Teller gleich immer eine Ehescheidung machen wollte – du liebe Zeit!«
»Dann weiß ich aber nicht, was ich tun soll. Ich bin doch für den Prozess gewissermaßen verantwortlich.«
»Ich möchte mich da nicht hineinmengen, aber ich meine, Sie müßten sich mal an einen wenden, der in solchen Sachen richtig Bescheid weiß.«
»Sie meinen, an einen anderen Anwalt?«
»Nein, eben nicht, sondern – warten Sie, ich schreibe Ihnen eine Adresse auf, da gehen Sie mal hin. Kein feiner Mann, auch nicht gerade billig, aber der hat mir mal eine Sache gedreht, ich sage Ihnen, der geht ran.«
Der Oberpostrat betrachtet mißtrauisch das Zettelchen. »Was ist denn das für ein Mann?«
C. B. MOLL
Rat und Hilfe in allen Lagen
Steuer- und Prozessberatung
Eheanbahnung und Ehescheidung
Auskünfte und Überwachungen
diskret und sachverständig
Der Oberpostrat steht auf der Treppe vor dem handgemalten Pappschild; durch die Tür hört er das unregelmäßige Klappern einer Schreibmaschine und von Zeit zu Zeit ein Räuspern. Es kostet ihn Überwindung.
Aber dann sitzt er vor dem Inhaber des vielseitigen Unternehmens, einem dicken, blassen Mann, der aussieht wie ein gestrandeter Bürovorsteher und die ihm überreichten Papiere durchblättert. Der Oberpostrat hat inzwischen Muße, sich das Zimmer anzusehen, in das er geraten ist. Es ist Wartezimmer, Sprechzimmer und Schreibstube zugleich und stellt außerdem, wie aus dem roten Schlafsofa und den Kochgeräten ersichtlich, auch die Privatwohnung des Herrn Moll dar. In einer dunklen Ecke sitzt ein hochblondes Fräulein vor einer Schreibmaschine und spitzt einen Bleistift. Der Oberpostrat möchte am liebsten wieder fort, hat aber nicht den Mut. Es ist auch schon zu spät; Herr Moll ist mit der Durchsicht der Schriftsätze fertig und verzieht den Mund: »Habe ich mir gleich gedacht!«
Der Oberpostrat ist traurig: »Ja, ich weiß. Aber nun haben wir den Prozess einmal angefangen, und ich kann das auch nicht auf meiner Tochter sitzen lassen, was da alles geschrieben wird. Mein Anwalt meint allerdings –«
»Sagen Sie mir nichts gegen die Rechtsanwälte. Ich habe gute Freunde unter ihnen, wenn sie es auch nicht wissen wollen. Außerdem sind es feingebildete Leute, und wenn man sie gut bezahlt, geben sie sich auch Mühe. Aber was tun sie für das Geld? Sie schreiben hin, was man ihnen erzählt, bringen es in gutes Deutsch, und damit ist es aus. Daß sie selber mal auf was kommen, daß sie mal was erfinden, wo das Material nicht langt, das tun sie nicht. Unter uns; dürfen sie auch gar nicht, denn sie sind ja Rechtsanwälte«, setzt er mit leiser Stimme hinzu.
Der Oberpostrat nickt, und Herr Moll fährt fort: »Ja, so ist das, mein Herr. Aber trösten Sie sich, es gibt auch noch andere Leute, die genauso viel verstehen, oder auch noch ein bisschen mehr, und die keine Anwaltskammer und so was über sich haben; verstehen Sie, Leute, die vielleicht weniger vornehm sind, aber die nötige Phantasie haben. – Merken Sie was, mein Herr? Bei mir sind Sie richtig, todrichtig! Und jetzt will ich Ihnen mal was sagen: Ihr Prozess ist natürlich verpfuscht, hoffnungslos verpfuscht. Aber das bin ich schon gewohnt; höchste Zeit, daß Sie zu mir gekommen sind. Die Geschichte muß auf einen ganz anderen Karren geladen werden. Das mit dem Hund ist natürlich Essig.«
»Verzeihung, Sie meinen das mit dem Teller?«
»Auch, auch, überhaupt alles! Da müssen Sie schon mit ganz was anderem kommen!«
»Da ist aber sonst nichts.«
»Dann muß eben was gefunden werden! Nun packen Sie mal aus! Was ist denn sonst noch los mit Ihrem tüchtigen Schwiegersohn? Trinkt er, spielt er, macht er Schulden, ist er liederlich?«
Der alte Herr schüttelt entrüstet den Kopf: »O nein!«
»Alles nicht? Schade! Das kommt davon, wenn man einen Musterknaben heiratet, dann hat man nicht mal einen Scheidungsgrund. – Sagen Sie mal, wie alt ist eigentlich dieser Bursche?«
»Herr Doktor Delius ist am siebenten Januar zweiunddreißig
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