Heinrich Spoerl
Cicerone von Bild zu Bild gezerrt wird: »– questo è il quadro del veccio Tiziano capo della scuola veneziana nel Cinquecento; era già molto vecchio, il maestro quando a fatto questa donna nude.« Frau Mengwasser versteht kein Italienisch und ist auch schon ganz wirr im Kopf. »Ergreifend, wirklich ergreifend«, sagt sie zu einer neben ihr stehenden Dame, »ein Jammer, daß mein Mann für so etwas keinen Sinn hat, finden Sie nicht auch?« – »I beg your pardon?« fragt die graue Dame zurück. Und Frau Mengwasser fragt: »Wie bitte?«
Der Regierungsrat, der Wert auf standesgemäße Begleitung legt, hat sich der Eleganten angeboten und muß mit ihr von Laden zu Laden ziehen, wo sie in hauchdünnen Hemdchen, pastellfarbenen Höschen und anderen Niedlichkeiten wühlt. Der Herr Regierungsrat sitzt etwas überflüssig auf einem der hohen Stühlchen, schaut weg und überlegt, ob es nicht taktvoller wäre, draußen zu warten.
Und die Paula läßt sich von Herrn Platte entführen. Sie haben bereits etliche Vermouth hinter sich, nun stehen sie mit heißen Köpfen an der Mole und warten auf das Vaporetto und können nicht schnell genug ans Meer kommen, wo Paula endlich ihren zitronengelben Badeanzug zeigen will. Auch Platte ist sehr gespannt.
Mengwasser hat in der Studienrätin einen Kumpan gefunden und sitzt mit ihr in der berühmten Kneipe, wo es Pilsener gibt; sie sitzen auf der Straße im Schatten der noch berühmteren Kirche, lassen die Leute an sich vorübergehen, und Mengwasser ist, zum ersten Male auf der Reise, rundherum glücklich: »Und wissen Sie, was an dem ganzen Italien das Schönste ist?« –
»Alles, das Meer, die Menschen, die Kunst und die Kirchen.« –
»Nee, Fräulein, der Durst!«
Der Missvergnügte läuft kreuz und quer durch die Stadt und findet seinen Verdacht bestätigt: daß die Kanäle schlecht riechen und die Kellner schmutzige Manschetten haben, daß die Polizisten kein Deutsch können und die Gondolieri falsch herausgeben. Er schreibt es auf Ansichtskarten und geht erleichtert nach Hause. Frau Delius hat sich der Bedeutung der Stadt entsprechend hübsch gemacht und sitzt nun unschlüssig in der Halle, betrachtet den Mosaikfußboden, die unechten Marmorsäulen und das vergoldete Treppengeländer. Solange das Reiseprogramm mit seinen Fahrten, Besichtigungen und Veranstaltungen pausenlos abrollte, hat sie es nicht empfunden; jetzt, wo sie zur Ruhe kommt, merkt sie, daß sie einsam ist.
Infolgedessen schreibt sie den längst fälligen Brief an den Papa. Sie schreibt von den großen Eindrücken und den kleinen Zwischenfällen, vom Wetter, vom Essen und von ihren Reisegefährten. Von ihrem Mann schreibt sie nichts; sie weiß nicht, wie sie sich ausdrücken soll, es ist alles so furchtbar verwickelt, man kann es nur erzählen, und die Sache hat ja auch weiter nichts auf sich. So unterschlägt sie das Wesentliche, der Brief wird unwahr.
Dann verlangt sie nach dem Reiseleiter, sie will ihn fragen, was sie unternehmen soll, hat vielleicht eine kleine Hoffnung, daß er sie begleiten wird. Aber der Reiseleiter ist heute nicht zu sprechen, er schläft.
Und so wendet sie sich an den Stillen, der gerade, den Sommermantel über dem Arm, langsam die breite Treppe herunterkommt.
»Tun Sie dasselbe wie ich, gnädige Frau«, bekommt sie zur Antwort, »ich mache eine Wanderung durch die Stadt, aber auf meine Art. Ich weiß keinen Weg und kein Ziel und frage auch nicht danach. Ich lasse mich überraschen. Ich wandere aufs Geratewohl, durch Straßen und Gassen, über Plätze und Brücken, wohin mich der Zufall treibt und die Laune. Mag sein, daß ich auf diese Weise das Wichtigste nicht zu sehen bekomme. Aber dafür sorgt ab morgen die Reiseleitung. Außerdem ist das Wichtigste nicht immer das Wesentliche. Eine Stadt ist kein Kuchen, aus dem man sich die Rosinen herausnascht; man muß sie als Ganzes genießen, mit ihrem Licht und ihrem Schatten, mit ihren Kathedralen und ihren Hinterhöfen, ihrem Prunk und ihrer Arbeit. Ich will das Schöne bewundern, das Hässliche bedauern und das Gleichgültige übersehen. Ich will nicht wissen, wie dieser Platz heißt und jene Straße, wann diese Kirche erbaut ist und wer darin begraben liegt, ich will nichts haben als Bilder und Eindrücke und meine Gedanken dabei spazieren führen. Und wenn ich genug davon hatte, dann erkundige ich mich, wo ich bin, und suche den Rückweg in mein Hotel.«
»Sie sind ein eigenartiger Mensch.«
»Ich habe auch einen
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