Heinrich Spoerl
Jahre alt geworden.«
»Zweiunddreißig? Großartig! Dann werden wir mal schlankweg Ehebruch behaupten.«
»Ehebruch??«
»Natürlich! Alles andere ist Firlefanz. Ehebruch ist der patentierte Scheidungsgrund. Ehebruch zieht immer, da müssen sie nämlich drauf scheiden, ob sie wollen oder nicht. Und die Hauptsache: Ehebruch stimmt auch immer, wenn man nur gehörig dahinter guckt.«
Dem Oberpostrat will es nicht in den Kopf. »Das kann ich von meinem Schwiegersohn aber gar nicht glauben, wo er ein so anständiger Mensch ist.«
»Die Anständigen sind die Schlimmsten. Nicht wahr, Fräulein Tomeczek?« – Das blonde Fräulein aus der Ecke wendet den Kopf und sagt mit hoher Stimme: »Jawohl.«
Und nun erklärt Herr Moll dem Oberpostrat das bewährte Rezept: Nach dem Gesetz sind Ehegatten, auch wenn sie in Scheidung liegen und getrennt leben, zur ehelichen Treue verpflichtet, bis die Ehe rechtskräftig geschieden ist. Jeder Verstoß dagegen ist Ehebruch und zwingender Scheidungsgrund. Aber das wissen die Leute nicht, und wenn sie es wissen, dann denken sie nicht daran, und wenn sie auch daran denken, dann tun sie es trotzdem.
Der Oberpostrat hat einige Bedenken: Das sei aber eigentlich gar nicht der Sinn der Scheidungsklage gewesen, und überhaupt sei Doktor Delius augenblicklich auf Reisen, und er der Oberpostrat, wisse nicht einmal, wohin.
»Auf Reisen? Das ist gut, das ist ausgezeichnet! Auf Reisen passiert immer was. Da fühlt man sich frei und unbeobachtet und tut manches, wozu man zu Hause nicht den Mut hat, und dazu die andere Umgebung und die Luftveränderung. Gelegenheit macht Liebe, wie man zu sagen pflegt. – Fräulein Tomeczek, kommen Sie doch mal näher. – Herr Oberpostrat, darf ich Sie mit meiner Ersten Rechercheuse bekannt machen? Die Dame wird zunächst ausfindig machen, wo dieser Doktor Delius hingefahren ist, und dann wird sie hinter ihm herreisen. seinen Lebenswandel unter die Lupe nehmen, ihn unauffällig überwachen und das Nötige feststellen.«
»Wenn aber nichts festzustellen ist«, beharrt der Oberpostrat.
»Dann, lieber Herr, wird Fräulein Tomeczek in bewährter Weise – dafür sorgen. Sie ist Spezialistin auf diesem Gebiet.«
Der Oberpostrat sieht das Fräulein mißtrauisch an.
»Nun«, fragt Herr Moll unsicher, »gefällt sie Ihnen nicht?«
»Doch – sehr. Aber ich weiß nicht – warum ist denn das Fräulein – wie soll ich sagen – so hübsch?«
»Mann, das ist doch gerade der Witz!«
»Verzeihung, was für ein Witz?«
»Ja haben Sie denn immer noch nicht –? Um so besser, bewahren Sie Ihr kindliches Gemüt und überlassen Sie alles Weitere mir. Es ist zum Wohle Ihres Kindes.«
Dann geht es ans Bezahlen: Rechtsauskunft, laufende Prozessberatung, Beobachtung und Überwachung, Reiseunkosten und Vertrauensspesen, Zuschlag für Sonderauftrag und Diskretionsgebühr. Der Oberpostrat hat sein Scheckbuch mitgebracht.
***
»Meine Damen und Herren! Zur Feier unseres Einzuges in die Stadt unserer Träume habe ich mir ein ganz besonderes Festprogramm ausgedacht. Es soll darin bestehen, daß wir ausnahmsweise einmal kein Programm haben, daß vielmehr heute jeder von Ihnen tun und lassen kann, was ihm gefällt. Hoffentlich wissen Sie diese Vergünstigung zu würdigen. Ich wünsche Ihnen einen schönen, erlebnisreichen Tag, und auf Wiedersehen morgen früh um acht.«
Die Reiseteilnehmer sind begeistert. Sie laufen lachend und schwatzend in dem sonnigen Lichthof des Hotels umher, stehen in Gruppen und überlegen und freuen sich wie Schulkinder, die unerwartet frei bekommen.
Die Freiheit ist nicht so schön, wie sie scheint. Man weiß nichts Rechtes mit ihr anzufangen und fühlt sich hilflos, nachdem man so viele Tage an der Leine geführt worden ist. Man will sich ansehen, was am schönsten ist, man fragt den Portier, den Hausdiener, den Kellner und das Zimmermädchen und bekommt von jedem eine andere Antwort, und schließlich hält man sich an den Baedeker und läuft die Sternchen ab, jeder auf seine Weise.
Der alte Herr im Sonntagsanzug möchte nicht weit gehen und kein Geld ausgeben; er gerät auf einen großen Platz, der aussieht wie ein Festsaal im Freien, läßt sich von gefräßigen Tauben umflattern und bleibt standhaft gegen die Leute, die ihn fotografieren wollen, und gegen die anderen, die Taubenfutter verkaufen.
Frau Mengwasser will sich bilden, sie bezahlt ihren Eintritt in die Academia und hängt sich einem Menschenknäuel an, das von einem eiligen
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