Heinrich Spoerl
auch das Benehmen ihres Mannes. Da er unschuldig ist, hat er nicht nötig, ihr Erklärungen zu geben oder zu schwindeln; er fühlt sich gekränkt und ist bockig.
Er hat Charakter.
***
Am nächsten Morgen war vorsichtshalber Sonntag.
Als Faletti aufstand, wurde er durch den Besitz von neunzig Mark nachdrücklichst an seine Verabredung mit Kempenich erinnert. Er zog sich zur Feier des Tages seinen unwiderstehlichen Flanellanzug an, stülpte den breiten Panama auf seinen brummenden Kopf und begab sich zu seinem neuen Freunde. Aber es waren keine eindeutigen Gefühle, mit denen er die vierzehn Steinstufen zu Kempenichs Haustür emporstieg.
Die Schelle macht räng-pläng. Die Maria öffnet das Kläppchen und leiert ihren eingelernten Vers: »Die Frau läßt bestellen und sie wär' nicht zu Haus und sie will auch keine Singstunden mehr.« Damit klappt das Kläppchen wieder zu, und der Maestro ist mit der Tür wieder allein.
Er macht einen neuen Versuch. Abermals geht das Kläppchen:
»Die Frau läßt bestellen und sie wär' –«
»Ich will zum Herrn Kanzleivorsteher«, unterbricht Faletti mit geschulter Resonanz.
Die Maria eilt zu Frau Hedwig, holt sich Information und ist wieder am Kläppchen: »Der Herr Vorsteher ließe bestellen und er war' erst recht nicht zu Haus.« Klapp.
Jetzt kann der Maestro eigentlich wieder gehen. Aber er will, für neunzig Mark vorausbezahlte Gesangstunden, seine Pflicht bis zum Äußersten tun. Er versucht es mit Flöten: »O du fröhliche –«
Kempenich hört nicht.
Faletti gibt sich ans Rufen, vornehm mit weich gedämpfter Stimme: »Herr Kempenich – Christian – Herr Kempenich.« Er erreicht lediglich, daß sonntägliche Leute stehenbleiben.
Am Ende greift er zur List, zur Notlüge. Eine kleine Vorübung für das Kommende. Er klingelt noch einmal und schneidet der Maria das Wort ab: Er will den Herrn Vorsteher sprechen, er habe Geld zu bekommen.
Die Maria ist nicht gewohnt, daß Leute von ihrer Herrschaft Geld zu bekommen haben. Sie wurde rot bis in den Nacken und schloß zitternd die Tür auf.
Der Herr Vorsteher saß in seinem Herrenzimmer auf dem Bettrand und pflegte seinen Kater. Er hatte ein nasses Handtuch um den Kopf gedreht und war froh, daß Faletti endlich erschien. Er war doch ein zuverlässiger Mensch. Weniger froh war er über das trauliche ›Du‹, mit dem der Meister ihn überfiel. Kempenich hatte es schon vergessen und entsann sich nur dunkel. Er fand es aufdringlich, aber er konnte nichts machen, Du bleibt Du. Er vertat sich in jedem Satz mindestens dreimal. Die nächtliche Brüderschaft saß nicht im Herzen. Übrigens durfte man vor Hedwig davon keinen Gebrauch machen; aber nun ist es ganz verzwickt: Man empfindet ›Sie‹, hat ›Du‹ getrunken und muß ›Sie‹ spielen.
Man hält eine kurze Generalprobe, Schwindeln ist nicht einfach, besonders wenn man, wie Faletti, den todsicheren Mißerfolg vor Augen hat. Er angelt nach einer Ausrede: Er habe einen bösen Traum gehabt, übrigens sei ihm eine Katze über den Weg gelaufen und zwei alte Weiber obendrein, und er habe überhaupt eine dunkle Ahnung. Kempenich ist unerbittlich und hat für Weiber, Katzen und Ahnungen keinen Sinn. »Also wenn du – beziehungsweise Sie – nicht mehr wollen, dann kannst du es ja rückgängig machen.« – Faletti kann nicht rückgängig machen; die neunzig Mark sind nicht mehr beisammen.
Hedwig wunderte sich, als es bei ihr anklopfte. Das war sie von der Maria nicht gewohnt. Noch mehr wunderte sie sich, als ihr Gatte hereinschritt und den widerstrebenden Faletti wie einen Schutzschild vor sich herschob. Auch Anton kam mit und fuhr den Männern kläffend um die Beine. Er will dabei sein. Es lohnt sich.
Kempenich hat den Katerturban noch um den Kopf und läßt seine feierliche Ansprache vom Stapel: »Verzeihung, liebe Hedwig, daß ich das Wort an dich richte. Es sind nun schon zweiundzwanzig – beziehungsweise heute mitgerechnet dreiundzwanzig Tage, daß ich – daß du – daß wir –« Er verliert den Satzbau. Und hatte es so gut geübt.
»Ich denke, das besprechen wir besser unter uns«, sagt Hedwig mit einem Blick auf Faletti.
»Du mußt mich nicht gleich unterbrechen. Gerade um ihn handelt es sich.«
Der Frau Hedwig fährt ein Schreck bis in die Zehenspitzen. Aber Kempenich spricht gar nicht von Koblenz. Er spricht von seinen unermüdlichen Nachforschungen und von dem Lumpen, den er endlich gefunden habe, der in dem Kölner Hotel seinen Namen so
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